Vielversprechende Studiendaten

Flexibler glutenfrei leben: Neuer Wirkstoff könnte Erleichterung für Zöliakie-Betroffene bringen

Mal eben fix ein Brot oder Brötchen vom Bäcker: Für Zöliakie-Patienten und -Patientinnen ist das keine Option. Für sie fallen meist sehr hohe Kosten für eine glutenfreie Ernährung an.

Mal eben fix ein Brot oder Brötchen vom Bäcker: Für Zöliakie-Patienten und -Patientinnen ist das keine Option. Für sie fallen meist sehr hohe Kosten für eine glutenfreie Ernährung an.

Mal eben ein Brötchen vom Bäcker oder unterwegs einen Döner essen – für Menschen mit einer Glutenintoleranz ist das nicht möglich. Sie müssen für viele Lebensmittel Ersatz finden. Das erfordert Disziplin und Geduld. Betroffen von einer sogenannten Zöliakie ist nach Angaben der Deutschen Zöliakie-Gesellschaft (DZG) ungefähr ein Prozent der Bevölkerung, das wären allein in Deutschland mehr als 800.000 Menschen.

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Zöliakie ist eine Intoleranz des Dünndarms gegen Gluten, das in einigen Getreidearten vorkommt. Der Kontakt der Darmschleimhaut mit dem auch Klebereiweiß genannten Gluten führt dazu, dass die Darmzotten – zahllose Ausstülpungen auf der Oberfläche des Dünndarms – mit der Zeit abflachen und geringere Mengen an Nährstoffen aufnehmen können. Das kann Verdauungsbeschwerden verursachen, aber auch viele andere gesundheitliche Probleme.

Verzicht bislang einzig möglicher Umgang mit Autoimmunerkrankung

Gluten steckt unter anderem in Getreidesorten wie Weizen, Dinkel, Roggen und Gerste, weshalb etwa normale Backwaren für Betroffene tabu sind. Das Klebereiweiß finde sich aber auch in anderen Lebensmitteln, in denen man es nicht unbedingt vermuten würde, so die DZG. Es könne etwa in Eiscremes, Gewürzmischungen, Fruchtsäften oder Brotaufstrichen enthalten sein.

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Laut Stephanie Baas, fachmedizinische Beraterin der DZG, handelt es sich bei Zöliakie um eine Autoimmunerkrankung. „Streng genommen ist es weder eine Allergie noch eine Unverträglichkeit“, sagt Baas. Lebenslang auf glutenhaltige Lebensmittel zu verzichten sei bislang die einzige Chance, die Erkrankung in den Griff zu bekommen.

Denn kommt die Schleimhaut des Dünndarms immer wieder mit Gluten in Kontakt, werde die Zöliakie immer wieder aktiviert. Dadurch könne der Körper Nährstoffe schlechter aufnehmen. Das könne etwa die Stabilität der Knochen beeinträchtigen und zu Osteoporose führen. Auch die Erfüllung eines Kinderwunsches könne mitunter an einer Zöliakie scheitern.

Es braucht neue Therapieansätze

Eine glutenfreie Ernährung sei zwar generell nebenwirkungsfrei, so Baas, aber viele Ersatzprodukte enthielten mehr Fett und Zucker, um einen normalen Geschmack herzustellen. „Wir wissen, dass manche Zöliakie-Patienten damit auch ein Problem haben, etwa übermäßig zunehmen“, sagt Baas.

Nach Angaben von Christian Sina, Direktor des Instituts für Ernährungsmedizin in Lübeck, schlagen glutenfreie Diäten (GFD) – also das strikte Meiden von Gluten – nicht bei allen Betroffenen gleich gut an. Bei manchen Patienten und Patientinnen wirke eine solche Ernährung kaum. Auch daher sei es notwendig, neue therapeutische Ansätze zu finden.

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Zwar versucht die Forschung laut Baas, Medikamente zu finden, die das Leben der Betroffenen erleichtern. Ein Mittel, das es Erkrankten ermöglicht, sich „normal“ zu ernähren, sei aber vorerst nicht in Sicht.

Hoffnungen ruhen auf Transglutaminase-Hemmer

Doch eine gewisse Erleichterung könnte es möglicherweise in einigen Jahren geben. Hoffnungen ruhen derzeit auf einem sogenannten Transglutaminase-Hemmer. Eine Arbeitsgruppe um Detlef Schuppan, Leiter der Klinik für Zöliakie, Dünndarmerkrankungen und Autoimmunität an der Universitätsmedizin Mainz, hat den Transglutaminase-2-Hemmer ZED1227 zusammen mit zwei Unternehmen entwickelt und in einer europaweiten Studie auf Sicherheit und Wirksamkeit getestet.

An der Untersuchung nahmen insgesamt 160 Patienten und Patientinnen in Deutschland, der Schweiz und fünf weiteren europäischen Ländern teil. Sie ernährten sich generell glutenfrei – doch im Rahmen der sechswöchigen Studie aßen sie alle morgens einen Keks, der drei Gramm Gluten enthielt. Etwa 120 Teilnehmer nahmen den Wirkstoff ZED1227 in unterschiedlichen Dosierungen ein, die übrigen Probanden bekamen ein Scheinpräparat und dienten als Kontrollgruppe.

Tatsächlich verhinderte der Wirkstoff weitgehend die Entzündung und Schädigung der Darmzotten, wie das Team im Sommer 2021 im renommierten „New England Journal of Medicine“ (NEJM) berichtete. Nebenwirkungen wie Übelkeit, Durchfall, Erbrechen und Kopfschmerzen traten bei den behandelten Teilnehmenden ähnlich oft auf wie in der Kontrollgruppe.

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Entzündungsreaktion konnte verringert werden

Michael Schumann von der Berliner Charité, Koordinator der deutschen Zöliakie-Leitlinie, erläutert den möglichen Wirkmechanismus des Präparats so: Das in der Darmschleimhaut exprimierte Enzym Transglutaminase verändere die im Gluten vorhandenen Proteine so, dass diese bei Zöliakie-Patienten eine Immunreaktion auslösen können. Die Hoffnung hinter dem Enzymhemmer sei: „Wenn ich die Transglutaminase in ihrer Aktivität mit einem Hemmer ausschalte, dann kriege ich die Aktivität der Zöliakie des Patienten in den Griff.“

Da es im Körper viele unterschiedliche Enzyme und auch mehrere Transglutaminasen gebe, sei es wichtig, nur die Transglutaminase zu hemmen, die im Darm die Immunreaktion auslöse. Das sei in der Studie gelungen, sagt Schumann, der selbst an der Arbeit beteiligt war. Damit sei erstmals beim Menschen ein Erfolg an der Struktur der Dünndarmschleimhaut gezeigt worden. Das Präparat habe die glutenbedingte Entzündung und den Zottenschwund im Dünndarm verringert.

Derzeit wird das Medikament in einer größeren Studie in mehr als 20 Ländern erneut getestet, auch an gut 20 deutschen Zentren. Resultate erwartet Schuppan in 1,5 bis zwei Jahren. In der neuen Studie dauert die Behandlung länger – 17 Wochen statt vorher sechs Wochen. Teilnehmen sollen 400 bis 450 Zöliakie-Betroffene, die trotz glutenfreier Ernährung Restsymptome aufweisen, etwa Bauchschmerzen oder Durchfall.

Komplett glutenhaltige Ernährung wird wohl nicht möglich sein

An diese Zielgruppe würde sich das Medikament Schumann zufolge im Falle einer Zulassung richten, um solche Beschwerden zu verhindern oder abzuschwächen. „Aus Sicht der Betroffenen wäre das eine tolle Sache“, sagt Schumann.

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Wenn diese und weitere Studien erfolgreich seien, könnte das Mittel möglicherweise in etwa vier bis fünf Jahren zugelassen werden, sagt Schuppan. Er betont, das Medikament richte sich auch an die „Mehrzahl der zum Beispiel berufstätigen Patienten, die auch einmal ohne Sorgen an einem sozialen Essen teilnehmen wollen, ohne Spuren von Gluten fürchten zu müssen“. Allerdings hält er es für unwahrscheinlich, dass sich Menschen mit Zöliakie künftig mit dem Transglutaminase-Hemmer komplett glutenhaltig ernähren können.

Einen Grund für die zähe Suche nach einem Medikament sieht der Lübecker Ernährungsmediziner Sina darin, dass sich eine Zöliakie in den meisten Fällen diätetisch gut einstellen lässt – im Gegensatz zu chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen wie etwa Morbus Crohn. In Arzneimittelstudien müssten Medikamente einen Zusatznutzen im Vergleich zu einer glutenfreien Diät zeigen.

Frei verkäufliche Mittel mit zweifelhaftem Nutzen

Schuppan verweist darauf, dass etwa 30 Prozent der glutenfrei lebenden Patienten weiterhin Beschwerden haben und meist auch Zeichen einer Dünndarmentzündung. „Das ist eine sehr große Anzahl an Patienten allein in Deutschland“, betont er.

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Während Zöliakie-Medikamente weiterhin getestet werden, gibt es bereits frei verkäufliche Mittel. Davon rät DZG-Beraterin Baas ab. Sogenannte Enzymspalter sollen, so wird behauptet, Gluten aufspalten können. Da diese Präparate als Nahrungsergänzungsmittel gelten, müssen sie – im Gegensatz zu Medikamenten – nicht rigoros in Studien geprüft werden und ihre Wirkung unter Beweis stellen.

Der Charité-Mediziner Schumann wünscht sich, dass eine Zöliakie gesellschaftlich stärker anerkannt wird. So solle eine glutenfreie Diät für Zöliakie-Patienten als Therapie vom Staat unterstützt werden. „Wenn Sie Ihren Haushalt auf eine glutenfreie Diät umstellen, haben Sie eine ganz erhebliche zusätzliche finanzielle Belastung.“ Schumann schlägt deshalb vor, etwa glutenfreies Brot auf Rezept zu erhalten oder Betroffenen anderweitig mehr Unterstützung zukommen zu lassen.

RND/dpa

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