Fruchtbarkeit und Frieden: Dafür steht der Hase wirklich
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Wachsam und mit langen Löffeln: ein Hase.
© Quelle: Gary Bendig/Unsplash
Auffallend lange Ohren, vorstehende Zähne, häufig mit Kiepe oder Schubkarre unterwegs, sein Name ist Hase – und wenn er so aussieht, als wisse er von nichts, dann gehört das zu seiner Masche, den Unschuldigen zu mimen. In Wahrheit hat es der Hase faustdick hinter den Löffeln. Er ist ein Meister der Tarnung, und das nicht nur wegen seiner perfekt an seine Umgebung angepassten Fellfarbe und weil er sich bei Gefahr so tief zwischen Ackerfurchen und hohem Gras ducken kann, dass er nahezu unsichtbar ist. Er begegnet uns auch jenseits von Feld und Wiese als wahrer Verwandlungskünstler, vor allem in diesen Tagen.
Ob im Einrichtungsladen, in der Drogerie, im Bäckereischaufenster, in Supermarktregalen, auf Fensterbänken, Balkonen oder im Wartezimmer der Arztpraxis – überall laufen uns Hasen in allen möglichen und unmöglichen Formen, Farben und Materialien über den Weg. Und wo sie noch nicht präsent sind, da lauern sie in Kellern und Abstellräumen auf ihren großen Auftritt: Ostern gehört „Meister Lampe“. Doch es wäre unfair, ihn nur als Ausdruck saisonaler Dekowut oder gar als Kitschobjekt zu betrachten. Der Hase war und ist eine schier unerschöpfliche Inspirationsquelle für die Kunst. Nicht zuletzt wegen seiner Symbolhaftigkeit. Er steht neben Fruchtbarkeit auch für Frieden.
Im März macht der Feldhase gern mobil
Der Hase hat über Jahrtausende die menschliche Sprache und Kultur rund um den Erdball unterwandert. Wir kennen ihn von antiken Wandmalereien, als Angsthasen und Playboy-Bunny, in Gestalt des Lehrers und der Lümmel im Kinderbuch über die „Häschenschule“, als „armes Häschen“, das nicht mehr hüpfen kann, als „falschen“ Hasen und als einen, „der im Pfeffer liegt“, als Bühnen- und Filmgröße namens „Harvey“, als Zeichentrickstar „Bugs Bunny“, als Beatrix Potters Bilderbuchhelden Peter Hase und natürlich als Osterhasen, der nicht nur die Eier bringt, sondern sie mitunter sogar selbst legt. Was für ein irrer Typ! Das muss sich auch Lewis Carroll gedacht haben, als er für sein Buch „Alice im Wunderland“ den verrückten Märzhasen ersann, der gern mit Gegenständen um sich schmeißt.
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Meister der Tarnung: Jeff Koons’ „Rabbit“ (von links), Zeichentrickhase Bugs Bunny und Beatrix Potters Peter Hase.
© Quelle: Weinstein Company/Courtesy Everett Collection/dpa, dpa/AP, Mary Evans Picture Library/dpa/Montage RND
Im März macht der Feldhase tatsächlich gern mobil. Man sieht das dämmerungs- und nachtaktive Tier dann auch häufiger tagsüber beim Hoppeln über Felder und Wiesen. Dann leuchtet sein weißer Fleck an der Unterseite des Schwanzes. Lampe nennen Jäger diesen hellen Punkt auch, dessen Aufblitzen Verfolger in die Irre führen soll: Schlägt „Meister Lampe“ (in der Fabel heißt er auch „Lamprecht“) Haken, ist der Fokuspunkt so plötzlich verschwunden, dass der Feind kurzzeitig verwirrt ist und sich neu orientieren muss – der Hase hat auf diese Weise einen kleinen Vorsprung gewonnen. Die Art, wie er sich trickreich seinen Feinden entzieht, bringt ihm allerdings nicht nur Bewunderung ein: Von Hasenfuß oder Hasenherz sprechen wir, wenn sich jemand wegduckt, abhaut, feige ist. Für Joseph Beuys war der Hase dagegen stets ein Held. Kein anderes Wesen hat seine Kunst dermaßen beeinflusst.
„Ein Symbol für die Inkarnation“
Sein Herz für Hasen entdeckte er im Krieg: Als Beuys im März 1944 mit einem Kampfflugzeug über der Krim abstürzte, hätten ihn Tataren gefunden und seine Wunden gepflegt, berichtete er später. An seinem Krankenbett brannten Kerzen in Form von Hasen. Für die Tataren, deren Geschichte geprägt ist vom jahrhundertelangen Kampf gegen russische Macht- und Eroberungsansprüche, gilt der Hase als Lichtbringer und -bewahrer. Für Beuys, einer der bedeutendsten deutschen Künstler des 20. Jahrhunderts, war er „ein Symbol für die Inkarnation“.
Zwei seiner berühmtesten Performanceaktionen stellen den Hasen in den Mittelpunkt: 1965 erklärte Beuys einem toten Hasen in einer Düsseldorfer Galerie seine Kunstwerke; 1982 inszenierte er anlässlich der Documenta auf dem Kasseler Friedrichsplatz einen alchemistischen Schmelzvorgang, bei dem er aus einer Kopie der Zarenkrone Iwan des Schrecklichen einen goldenen „Friedenshasen“ goss. Das Projekt hätte auch gut in die heutige Zeit gepasst: „Der Hase ist das Zeichen der Bewegung, ganz besonders in der eurasischen Steppe zwischen Ost und West und West und Ost. Wir werden also dieses friedliche Tierchen, was ja auch jedes Kind kennt, zum Friedenssymbol machen. Da sind wir allerdings verpflichtet, das Problem von Ost und West und West und Ost auch zu lösen. Und das haben wir uns vorgenommen“, kommentierte Beuys die Aktion. Dass der Hase keine Kämpfernatur, aber gerade deshalb seinen Angreifern überlegen ist, brachte der Künstler auch mit einem anderen Werk zum Ausdruck: Ein übergroßer Plastolinhase schaut auf einen kleinen Spielzeugsoldaten mit Gewehr im Anschlag herab. Titel: „Der Unbesiegbare“.
Schalkhaftigkeit bei modernen Hasendarstellungen
Auch bei Albrecht Dürer wirkt der Hase eher wie eine Gewinnernatur: Sein berühmter „Junger Feldhase“ von 1502 ist ein massenhaft kopierter Blickfang, kräftig und dynamisch. Auf seinem Kupferstich „Adam und Eva“ lässt Dürer einen Hasen lebensfroh zu deren Füßen herumwuseln. Seine „Heilige Familie mit den drei Hasen“ zeigt ebenfalls gut gelaunte Tiere. Das Hasentrio könnte Kunsthistorikern zufolge auch für die Dreifaltigkeit stehen. So wie die „Dreiohrhasen“ aus dem 16. Jahrhundert, die den Kreuzgang des Paderborner Doms zieren und mit ihren verbundenen Ohren einen Reigen bilden. Witz und Schalkhaftigkeit haftet auch modernen Hasendarstellungen an, etwa den monumentalen Kreationen des Niederländers Florentijn Hofman oder Jeff Koons‘ „Rabbit“.
Im chinesischen Horoskop zählt der Hase zu den zwölf Tierkreiszeichen. Ihm wird nachgesagt, dass er auch in heiklen Lagen stets einen Ausweg weiß. 2023 ist das Jahr des Hasen. Wer dann geboren wird, gilt als Glückskind.