Akute Sexunlust: Warum vom Gnaden-Sex keiner etwas hat und was dagegen hilft
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"Es tut einem nicht gut, Sex mitzumachen, den man nicht will”, sagt die Sexualtherapeutin Anja Drews.
© Quelle: Getty Images/iStockphoto
Hannover. Es ist diese schier unbändige Lust, das tiefe Verlangen nach etwas Neuem, nach etwas Unbekanntem: Der erste Sex mit einem neuen Partner ist für viele besonders aufregend. Die Realität ist für einen Moment ausgeblendet: Die rosarote Brille sitzt so fest wie der Deckel vom Gurkenglas. Doch so wie sich irgendwann das Glas öffnet, öffnet sich auch der Blick für das wahre (Paar)Leben im Alltag.
“Wenn Routine in die Beziehung kommt, kommt die Routine beim Sex gleich mit”, sagt die Hamburger Sexualtherapeutin Anja Drews. Und: “Je mehr man zusammenwächst, desto größer wird die Angst vor Ablehnung. Da kann die Kreativität beim Sex im Alltag verloren gehen." Mal etwas Neues auszuprobieren, trauten sich viele gar nicht. Das kann früher oder später dazu führen, dass Paare nur miteinander schlafen, um dem anderen zu gefallen oder weil es eben mal wieder dran ist.
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Die Sache mit der Lust
Die Lust wird nicht kleiner, aber man muss etwas für den Sex tun.
Anja Drews
Sexualtherapeutin
Kann es folglich sein, dass die Lust im Laufe einer Beziehung wirklich kleiner wird? In diversen Internet-Foren stellen sich Nutzer die Frage, ob sie einfach nur keine Lust auf Sex hätten oder ob es am Sex mit dem speziellen Partner läge. “Die Lust wird nicht kleiner”, meint Sexualtherapeutin Drews, “aber man muss etwas für den Sex tun. Er darf nicht einfach nur Punkt 20 auf der Tagesordnung sein.” Die erfahrene Sexualtherapeutin kennt sowohl Fälle, bei denen beide Partner keine Lust mehr haben, als auch solche, wo nur ein Partner keine Lust mehr auf Sexualität in der Beziehung verspürt. Dabei sind es keineswegs immer nur die Frauen, die von akuter Sexunlust befallen werden, wie so oft irrtümlich angenommen.
Männer sind keine Sex-Maschinen
“Männer können immer, Männer wollen immer – das ist Quatsch. Auch Männer sind Menschen mit einer Psyche”, erzählt Drews. Sie erlebe viele männliche Klienten, die keine Lust mehr auf Sex haben, weil sie sich nicht geliebt fühlen oder weil der Leistungsdruck zu hoch scheint.“ Der Gedanke, die Frau zum Orgasmus bringen zu müssen und sonst wie lange zu können, stresst viele Männer”, sagt die Expertin. Darauf reagiere der männliche Körper nicht selten mit Erektionsstörungen oder vorzeitiger Ejakulation.
Lernen, Nein zu sagen
Es tut einem nicht gut, Sex mitzumachen, den man nicht will.
Anja Drews
Sexualtherapeutin
Natürlich können die Gründe, warum Mann oder Frau gerade keinen Sex möchte, vielfältig sein. Gerade jungen Menschen fällt es dabei schwer, diese Gründe zu formulieren. Sie lassen sich dann auf Sex ein, den sie eigentlich in dem Moment gar nicht wollen. “Es tut einem nicht gut, Sex mitzumachen, den man nicht will”, sagt Drews, “es ist sogar destruktiv. Vor allem, wenn man das tut, um dem anderen zu gefallen." So könne sich bei der Frau die Scheidenmuskulatur verkrampfen, was das Eindringen des Penis schmerzhaft macht. “Der Kopf sagt: ‘Muss ja.' Der Körper sagt: ‘Nein.’", so die Sexualtherapeutin.
Vom Gnaden-Sex hat niemand etwas
Sex, um dem anderen zu gefallen? Sex, damit der andere zufrieden einschlafen kann? “Vom Gnaden-Sex haben am Ende beide nichts. Viel wichtiger ist es zu lernen, auch mal ‘Nein’ zu sagen”, findet Drews. Dabei sei es wichtig, diesen Wunsch auch verbal zu formulieren und den Partner nicht einfach nur wegzustoßen. Es ist wie so oft: Der Ton macht die Musik. “'Ich möchte gerade keinen Sex haben – nicht, weil ich dich nicht liebe, aber...', man sollte Gründe nennen, Einblicke in die eigene Gefühlswelt liefern, damit der Partner verstehen kann”, rät Sexualtherapeutin Drews.
Lernen, ein Nein zu akzeptieren
Sex sollte kein Mittel zum Zweck sein.
Anja Drews
Sexualtherapeutin
Doch wie geht man als Zurückgewiesener damit um? Viele Menschen reagieren emotional und könnten eine solche Ablehnung persönlich nehmen. Die Expertin empfiehlt, Verständnis zu zeigen, Alternativen wie Streicheln oder Schmusen anzubieten und nachzufragen, wenn sich einem die Gründe nicht erschließen. “Ganz wichtig ist aber auch, sich selbst zu hinterfragen: ‘Warum will ich eigentlich gerade Sex?’”, so Drews. Schließlich sollte der Partner nicht einfach nur als Bedürfnisbefriedigung benutzt werden. “Sex sollte kein Mittel zum Zweck sein.”
Hinterfragen, einladen und verführen
Es geht also nicht darum, dem Partner beim Sex zu gefallen. Es geht darum, Sex zu haben, der beiden gefällt – Sex, den beide wollen. Um da einen Konsens zu finden, müssten sich beide Partner erst einmal darüber klar werden, was sie wollen. “'Wie können wir gemeinsam etwas ändern?' Eine neue Art der Einladung, der Verführung zu entwickeln und zu entdecken”, sagt Drews. Es sei etwas ganz anderes, neue Sachen im Bett auszuprobieren, wenn die Einladung stimmt. “Es ist wichtig herauszufinden, was einem gefällt, was nicht und warum gefällt es einem nicht gefällt.”
In keiner Beziehung läuft alles rund. Aber Ungleichheiten im sexuellen Verlangen sind dazu da, um beglichen zu werden. Durch das eigene Hinterfragen und durch Achtsamkeit gegenüber dem Partner.