Alltagskunst und Tragehilfe – Hommage an die Plastiktüte

Jahrzehntelang Wegbegleiter unseres Alltags und jetzt verboten: Plastiktüten können auch Kunst sein.

Jahrzehntelang Wegbegleiter unseres Alltags und jetzt verboten: Plastiktüten können auch Kunst sein.

Mit farbenfrohen Mustern und auffälligen Schriftzügen oder Motiven bedruckt entfalten vor allem Plastiktüten vergangener Jahrzehnte noch heute eine Strahlkraft, die einem echten Gemälde gleichkommt: Von der ikonischen blau-weißen Aldi-Tüte der 1970er-Jahre bis zur knallroten Tragetasche mit ihrer provokanten „Ich-bin-doch-nicht-blöd“-Beschriftung der Elektrofachmarktkette Media Markt aus den Nullerjahren sind die diversen Tragehilfen auch Zeugnisse der Geschichte unserer Konsumgesellschaft – und ein Stück Alltagskunst.

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Letzteres beweist zum Beispiel eindrücklich ein Exemplar der Supermarktkette Norma: Der Discounter warb 2006 mit einem Porträt von Marilyn Monroe und dem Slogan „Ich heiße Norma“ – eine Anspielung auf den bürgerlichen Namen der Hollywoodlegende, Norma Jean Baker. Für Kulturwissenschaftler Frank Lang ist es „eine grandiose Tüte. Sie hat ein schönes Motiv und die Irritation war ein tolles Mittel der Werbeindustrie.“

Lang hat 2019 für das Museum der Alltagskultur des Landesmuseums Württemberg die Ausstellung „Adieu Plastiktüte!“ kuratiert. Die Exponate stammten aus zwei Sammlungen, die zusammen gut 50.000 Exemplare umfassen. Die Schau war zugleich Hommage und Abgesang auf die billige Einkaufshilfe aus Polyethylen. Denn schon zur Zeit der Ausstellung bahnte sich das Ende der Plastiktüten an Ladenkassen in Deutschland an.

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Seit dem 1. Januar greift eine Änderung des Verpackungsgesetzes, wonach „leichte Plastiktüten mit Wandstärken von 15 bis 50 Mikrometern nicht mehr in Umlauf kommen“ dürfen. Dünne Beutel für Obst oder Gemüse bleiben aber ebenso erlaubt wie stabilere Kunststofftaschen. In Frankreich hat man dünne Plastiktüten bereits 2016 untersagt, in England setzt man auf kostenpflichtige Exemplare.

Für Frank Lang ist die klassische Plastiktüte ein wichtiges – wenn auch umstrittenes – Symbol unserer Konsum- und Alltagskultur. „Wenn man eine Plastiktüte in die Finger kriegt, werden Emotionen und auch Erinnerungen geweckt: zum Beispiel an Schallplattenläden, Supermärkte oder Konsumgewohnheiten“, sagt er. Die diversen Motive unterschiedlicher Anbieter hätten dabei stets Mode und Zeitgeist eingefangen. Sowohl die ersten Plastiktüten aus den Fünfzigerjahren in den USA als auch spätere Modelle dienten Lang zufolge als „Spiegel der Gesellschaft“ der jeweiligen Zeit.

Der Irrglaube der gefahrlosen Vernichtung

„Die Plastiktütengeschichte hat einen enormen Wandel hinter sich. Zunächst wurden sie als umweltfreundlich, billig und als toller Werbeträger angesehen – doch inzwischen gelten sie als Inbegriff der Umweltverschmutzung“, betont der Kulturwissenschaftler. Zur Zeit der Ölpreiskrise war man noch der Auffassung, dass Plastiktüten „gefahrlos“ vernichtet werden konnten, indem sie „rückstandslos“ verbrannt wurden. Zudem konnten Plastiktüten wiederverwendet werden – zumindest so lange, bis die kiloschweren Einkäufe die ersten Risse verursachten und die Tasche unbrauchbar machten.

Die Plastiktüte erfreute sich somit lange Zeit großer Beliebtheit. Schließlich musste man sich auch keine Gedanken über Transport und Verpackung machen, weil es an jeder Kasse Gratistaschen gab. Ihr Image als nützliche Alternative zum ungleich schwereren Einkaufskorb hat sich jedoch im Laufe der Zeit zunehmend gewandelt. Die Folgen des Plastikkonsums wurden spürbar. Denn sowohl die Produktion als auch die Verbrennung verursacht jährlich Milliarden Tonnen CO₂-Emissionen.

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So ist das Ende der Plastiktüte vor allem ein Resultat des gestiegenen Umweltbewusstseins. Das Verbot soll zur Reduzierung von Plastikmüll beitragen. Gerade Plastiktüten wurden trotz ihrer teils kunstvollen Optik und ihres Prestigecharakters für Markenfans über Jahrzehnte unachtsam weggeworfen – und landeten dabei auch massenweise im Meer. Um der Tütenflut Einhalt zu gebieten, wurden die Kunststofftragetaschen 2016 kostenpflichtig. Der Verbrauch ist seitdem stark zurückgegangen.

Eine Sammlung von 100.000 Tüten

Sammlerinnen und Sammler sahen die Tüten indes nie als billiges Wegwerfprodukt an, sondern pflegen sie mit viel Leidenschaft. Ihre Kollektionen umfassen teilweise mehrere Zehntausend Exemplare. So hat etwa der 81-jährige Dieter Luchs aus Nordrhein-Westfalen Medienberichten zufolge um die 60. 000 Plastiktüten, der 2011 gestorbene Wirtschaftshistoriker und „Plastiktütenpapst“ Heinz Schmidt-Bachem war Hüter von rund 100 .000 Taschen.

Für Lang sind die Gründe für das Sammeln der Tüten naheliegend: „Sie haben eine unheimliche Farbenpracht und eine hohe Bildqualität durch die tollen Drucke. Außerdem gibt es eine riesige Vielfalt“, schwärmt er. Sammlerinnen und Sammler hätten dabei unterschiedliche Aufnahmekriterien für ihre Auswahl: „Einige nehmen nur vollkommen unbenutzte und faltenfreie Tüten in ihre Sammlung auf, andere legen dagegen sogar Wert auf Gebrauchsspuren“, sagt Lang.

Inmitten ihres Sterbeprozesses war die Plastiktüte in den vergangenen Jahren immer wieder Thema von Ausstellungen. Auch das Staatliche Museum zu Berlin zeigte 2021 Plastiktragetaschen der 1960er- bis 1980er-Jahre, „bei denen das Firmenlogo als grafisches Ausgangselement einer farbenfroh-geometrischen Gestaltung dient“. Star der Schau war die blaue Tüte des ehemaligen Warenhauskonzerns Horten, die 1961 als erste deutsche Plastiktüte auf den Markt kam.

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Bis Oktober stellte auch das Museum Bamberg zwei Privatsammlungen aus, die sowohl die Vielfalt, Ästhetik sowie die Funktion der Tüten als Werbefläche betonen – aber eben auch auf die Verschmutzung der Meere mit Plastiktüten aufmerksam machen sollten. Mit dem Ende der Plastiktüten geht aus Langs Sicht zwar ein Stück Alltagskultur verloren. Er findet es jedoch „positiv“, dass auch diese „Unbedenklichkeit des Konsums“ abnehme.

Aus den Köpfen wird die Plastiktüte jedenfalls nicht so schnell verschwinden – weder als Ikone der Gegenwartskunst noch als Symbol für Umweltverschmutzung.

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