Arbeitsmarktexpertin: „Kombi aus Minijob und Ehegattensplitting ist für Frauen oft eine Falle“
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Zweitverdienerin, damit mehr Zeit für den Nachwuchs bleibt.
© Quelle: RND
Für verheiratete Frauen und insbesondere Mütter lohne es sich häufig kaum, mehr als auf Minijobbasis zu arbeiten, sagt Manuela Barišić. Denn durch das Ehegattensplitting würden sie – die häufig in der Partnerschaft weniger als ihr Mann verdienten – auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt, erklärt die Arbeitsmarktexpertin der Bertelsmann Stiftung. Von den Ehefrauen im Alter von 25 bis 60 Jahren haben laut der Stiftung rund drei Viertel ein geringeres Einkommen als ihr Partner.
Im Interview erklärt Manuela Barišić, welchen Vorteil das Reformieren von Ehegattensplitting und Minijobs hätte. Sie spricht aber auch darüber, wer zu den Verliererinnen und Verlierern gehören könnte.
Frau Barišić, was ist eigentlich das Problem am Ehegattensplitting?
Das Einkommen der Zweitverdienerin wird bei einer Tätigkeit über den 450-Euro-Job hinaus unmittelbar so stark belastet, dass sich das Ausweiten ihrer Arbeitszeit häufig kaum lohnt. Der Vorteil des Ehegattensplittings eines Paares nimmt ab, wenn die Zweitverdienerin zunehmend zum Haushaltseinkommen beiträgt. Damit wird die Motivation für sie, eine Erwerbsarbeit aufzunehmen oder auszuweiten, natürlich reduziert.
Warum halten Sie es für wichtig, beides, Ehegattensplitting und Minijob, zu reformieren?
Weil sich genau diese Kombination für Frauen häufig als Falle darstellt, da bei einem Verdienst jenseits des Minijobs das Ehegattensplitting greift. Sobald sie mehr verdienen als 450 Euro im Minijob, werden sie überproportional mit Steuern und Abgaben belastet. Was wir hier sehen, nennen wir einen Fehlanreiz. Von diesem sind rund sechs Millionen Frauen in Deutschland betroffen. Denn 80 Prozent der verheirateten Frauen verdienen weniger als ihr Partner. Nur eine kombinierte Reform kann die sich verstärkenden negativen Effekte von Ehegattensplitting und Minijob beheben.
Was würde das in der Umsetzung bedeuten?
Bei einem Realsplitting statt eines Ehegattensplittings würden beide Eheleute steuerlich separat veranlagt werden. Wichtig dabei ist, dass ein begrenzter Betrag in Höhe von 13.805 Euro, der die Unterhaltspflichten zwischen den Eheleuten widerspiegelt, auf die Partnerin übertragen werden könnte. Damit wäre eine solche Reform auch verfassungskonform. Die Steuerlast für die Zweitverdienerin würde so abgebaut werden.
Die Minijobs könnten durch sukzessiv ansteigende Sozialversicherungsabgaben in reguläre Beschäftigungsverhältnisse umgewandelt werden. Das bedeutet, die Abgaben würden ab dem ersten Euro fällig, aber sie würden langsam ansteigen. Der volle Sozialversicherungssatz würde bei 1800 Euro zu Buche schlagen. Das entspricht einer Vollzeitbeschäftigung im Niedriglohnbereich.
Was haben Frauen und vor allem Mütter von dieser Reform?
Durch die Steuer- und Abgabenfreiheit der Minijobs entscheiden sich viele Ehefrauen, vor allem Mütter, erst einmal für diese Art der Arbeit. Aber das führt eben auch dazu, dass diese Frauen keine Ansprüche mit Blick auf die Leistungen der Sozialversicherungen haben. Sind Frauen etwa sehr lange in einem Minijob, haben sie nur sehr geringe Rentenansprüche. Das ist häufig ein Problem, vor allem bei Frauen, die alleinstehend oder geschieden sind. Es ist also nicht verwunderlich, dass Altersarmut vor allem Frauen betrifft.
Wenn das Ehegattensplitting voller Fehlanreize ist, warum kann man es nicht einfach abschaffen?
In Deutschland wird oft darüber diskutiert, warum wir es nicht wie in Schweden machen. Dort wurde das Splitting zugunsten der Individualbesteuerung abgeschafft. Hier liegt aber der Grund in unserer Verfassung: Diese sieht vor, dass die Versorgung eines Ehepartners oder einer Ehepartnerin ohne ausreichendes Erwerbseinkommen steuerlich berücksichtigt werden muss. Das ist also bindend. Aber es gibt einen Spielraum. Und den haben wir mit dieser Studie aufgezeigt.
Inwieweit spielt ein konservatives Rollenbild mit hinein?
Wir können schon sagen, dass das Ehegattensplitting tradierte Rollenbilder manifestiert. Wir haben in Deutschland sehr hohe Hürden, vor allem für die Zweitverdienenden. Und das sind eben häufig Frauen. Wir müssen uns fragen, ob wir uns das weiterhin leisten können – auch im Zuge des demografischen Wandels, des Fachkräftemangels und der Geschlechtergerechtigkeit.
Was hat der Staat, was haben wir als Gesellschaft davon, wenn wir das Ehegattensplitting reformieren?
Wenn wir unsere Studie anschauen, sehen wir, dass die Kombireform 124.000 Menschen in Arbeit bringen würde und davon 108.000 Frauen. Die Reform ist so gestaltet, dass sie aufkommensneutral ist. Das heißt, sie verursacht keine zusätzlichen Kosten für den Staat. Wir sehen auch, dass eine solche Reform vor allem die unteren 40 Prozent der Einkommen entlasten würde.
Sie sprechen von 108.000 Frauen, die so in Arbeit kommen könnten. Doch noch immer ist da die Zahl von knapp sechs Millionen Frauen, die weniger verdienen als ihre Ehemänner.
Mit Blick auf Geschlechtergerechtigkeit ist die Reform ein Baustein von vielen. Natürlich ist es wichtig, die Themen Ganztagsbetreuung, gute Kitas, aber auch Arbeitszeitflexibilität zu adressieren, damit es vor allem für Frauen und Mütter leichter wird, am Arbeitsmarkt teilzuhaben. Es ist nicht die Lösung, es ist eine Lösung im Zusammenspiel von vielen.
De facto profitieren derzeit aber auch Menschen vom Ehegattensplitting. Haben Sie berechnet, wie die Verluste für Paare aussähen, sollte das Ehegattensplitting abgeschafft werden?
Mit Blick auf die Einkommensverteilung sehen wir, dass es bei einer Abschaffung des Ehegattensplittings auch Verliererinnen und Verlierer gibt. Das sind vor allem Personen in den höheren Einkommensgruppen, die das klassische Alleinverdienermodell haben. Am höchsten ist der Splittingvorteil bei Einkommen von einer halben Million Euro Haushaltseinkommen pro Jahr.
Es ist wichtig, bei einer Reform auch darüber nachzudenken, wie man die Einführung gestaltet. Möglich wäre zum Beispiel eine Art Bestandsschutz, damit keine Familie von heute auf morgen schlechter gestellt wird.
Info: So funktioniert das Ehegattensplitting
Das gesamte zu versteuernde Einkommen beider Partner wird halbiert. Auf diese Hälfte wird die anfallende Einkommensteuer berechnet und die Steuerschuld anschließend verdoppelt. Es wird also so getan, als ob jeder der Eheleute genau die Hälfte des gemeinsamen Einkommens verdient.
Interessant wird das Splitting wegen des progressiven Steuertarifs. Das bedeutet: Je mehr jemand verdient, desto höher ist die Steuer. Verdient jemand im Jahr 100.000 Euro, zahlt die Person anteilig höhere Steuern, als Personen, die etwa 50.000 Euro im Jahr verdienen. Durch den Splittingvorteil zahlen Paare in diesem Beispiel nicht die Steuern für einmal 100.000 Euro Einkommen, sondern für zweimal 50.000 Euro – und haben damit insgesamt einen geringeren Steuersatz.
Durch diesen progressiven Steuertarif entsteht ein Splittingvorteil gegenüber unverheirateten Paaren mit exakt dem gleichen Haushaltseinkommen. Dieser Splittingvorteil ist umso größer, je höher das Haushaltseinkommen und je größer die Differenz zwischen den individuellen Einkommen der Eheleute ist.