Der Tod als Freund des Lebens: Wie Unternehmer Bodo Janssen Kraft aus der Meditation zieht
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Bodo Janssen leitet die Hotelkette Upstalsboom. Als Unternehmer hat er einen Weg gefunden, um den stressigen Alltag und schwierige Momente zu überwinden: Er kehrt ein in die Stille.
© Quelle: Dominik Odenkirchen
Bodo Janssen hat bereits einige einschlägige Momente erlebt: Mit 24 Jahren entführt worden, den Vater durch einen Flugzeugabsturz verloren und nach einer Krise anderthalb Jahre im Kloster verbracht. Heute ist er erfolgreicher Geschäftsführer einer Hotelkette. Seine Erfahrungen und die daraus gewonnenen Erkenntnisse hat er in seinem neuen Buch „Stille“ aufgeschrieben. Es soll anderen als Begleiter für das ganze Jahr dienen: Jedes Kapitel stellt einen Monat dar. Im Interview mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) berichtet er, wie er Kraft aus der Meditation zieht, welche Erlebnisse ihn zu seiner heutigen Leichtigkeit gebracht haben, und gibt Tipps für Einsteigende.
Herr Janssen, in Ihrem Buch heißt es, dass Sie vor schwierigen Entscheidungen auf die Kraft zurückgreifen, die Sie in Ihrem Morgenritual gewonnen haben. Wie genau sieht dieses Ritual aus?
Bodo Janssen: Ich stehe jeden Morgen um Viertel nach vier auf. Dann gehe ich in mein kleines Zendo, das ist ein Meditations-, Sport- und Entspannungsraum. Da beginne ich mit ein paar asiatischen Übungen, Dao-Massage zum Beispiel oder das Abklopfen der Meridiane. Danach setze ich mich auf meine Meditationsbank und sitze gut 30 Minuten im Stillen. Anschließend geht es dann mit einem Kaffee und einer Zeitung in der Hand zu meiner Frau und ich wecke die Kinder.
Während die sich fertig machen, mache ich noch Sport und gehe anschließend noch in die Lectio. Das ist eine alte Mönchsart zu lesen. Da geht es nicht darum zu verstehen, sondern nachzuempfinden, ob irgendetwas aus dem Text heraus in mir räsoniert. So habe ich vier Parts am Morgen, die mich in die Ruhe, zu mir selbst und in den Tag hineinführen und mir somit sehr viel Kraft schenken.
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Bodo Janssen: „Stille“, Ariston-Verlag, 144 Seiten, ISBN: 3424202509, 12 Euro.
© Quelle: Dominik Odenkirchen/Penguin Random House Verlagsgruppe
Worin genau liegt denn die Kraft der Stille?
Die Stille schafft einen Raum, in dem ich Antworten finde, die ich für diese Situation oder für den heutigen Tag brauche. Ich spreche da gerne vom Gewissen, also von der inneren Stimme, die wir häufig überhören. In der Stille geben wir dieser inneren Stimme einen Raum. Ganz besonders ist das auch bei der Lectio. Das habe ich mir auch im Kloster abgeschaut.
Ich lese einen Text und gehe danach wieder in die Stille und dann höre ich in mich hinein, was mir dieser Text zu sagen hat. Ganz häufig geschieht Folgendes: Ich verknüpfe diesen Text mit irgendetwas aus meiner Vergangenheit. Daraus entsteht eine Erkenntnis, ein Aha-Moment. Die Stille hilft mir dabei zu verstehen, zu verinnerlichen, zu begreifen und Antworten zu finden auf die Fragen, die mir das Leben stellt.
Warum sind solche Momente der Stille möglicherweise gerade heutzutage so wichtig?
Ich glaube, es geht für viele Menschen darum, einen inneren Frieden zu finden und innerlich zur Ruhe zu kommen. Ich erlebe bei vielen Menschen, dass sie flüchten – vor sich selbst und vor ihren Gedanken. Und ich glaube, je mehr wir uns selbst näherkommen, desto leichter wird es uns gelingen, uns selbst zu verstehen und mit den Unwägbarkeiten des Lebens zurechtzukommen. Zu begreifen und zu verinnerlichen, wer ich bin, was mir wichtig ist und wieso ich mich verhalte, wie ich mich verhalte. Das hilft mir im Alltag, sehr gelassen durch den Tag zu gehen.
Im Buch sind auch persönliche Erlebnisse von Ihnen mit eingeflossen. Welche sind das zum Beispiel?
Für jeden Monat ist eine Geschichte zu finden, die ich mit einem persönlichen Erlebnis in Verbindung bringe. Dadurch lebt dieses Buch. Im November geht es beispielsweise um den Tod. Da ziehe ich Parallelen zu meiner Entführung und den Scheinhinrichtungen, die ich dort erleben musste. Wenn ich im Februar über Bescheidenheit spreche, rede ich über den Umgang mit dem verloren gegangenen rechten Maß. Wie ich selbst auf die Klappe gefallen bin, weil ich einfach zu maßlos war.
Dadurch, dass mir Menschen mein Leben nehmen wollten, haben sie mir mein wirkliches Leben geschenkt.
Bodo Janssen, Geschäftsführer der Upstalsboom-Hotelkette
Sie haben die Entführung gerade schon angesprochen. Was ist damals genau passiert?
Ich bin als 24-Jähriger entführt worden und die Entführer wollten damals Lösegeld von meinen Eltern erpressen. Acht Tage war ich insgesamt in der Gefangenschaft dieser Geiselnehmer. Während dieser Zeit habe ich acht Scheinhinrichtungen über mich ergehen lassen müssen. Und die waren natürlich damals sehr unangenehm – ich hatte Todesangst und Panik.
Aber im Nachhinein betrachtet, zehn Jahre später im Kloster sitzend, habe ich diese Zeit reflektiert. Mit dem Motiv herauszufinden, wofür diese Entführung mit Blick auf mein zukünftiges Leben gut gewesen sein könnte. In dieser Krise, in dieser Entführung und ganz besonders in den Scheinhinrichtungen habe ich sehr viele Gedanken und Gefühle entdeckt, die mir heute sehr wichtig sind, um die Frage zu beantworten: Was macht mich wirklich glücklich? Dadurch, dass mir Menschen mein Leben nehmen wollten, haben sie mir mein wirkliches Leben geschenkt.
Sie haben von den Scheinhinrichtungen erzählt. Wie darf ich mir das vorstellen?
Ich lag zum Beispiel gefesselt auf einem Bett. Dann haben sie mich da runtergezogen und ich habe mich hinknien müssen. Mir wurden die Hände auf den Rücken gefesselt und ein Jutebeutel über den Kopf gezogen. Dann musste ich mein Kinn auf die Brust legen und darauf warten, dass mir in den Hinterkopf geschossen wird. Da gab es ganz unterschiedliche Wege, wie sie so etwas an mir vollzogen haben. Das waren natürlich immer wieder kleine Momente, wo ich mit dem Tod konfrontiert wurde und die im Nachhinein betrachtet aber sehr wertvoll waren. In dem Moment, wo ich den Tod für mich angenommen und ihn nicht bekämpft habe – in der letzten Scheinhinrichtung –, entstand diese Leichtigkeit.
Das erlebe ich auch im Umgang mit anderen Dingen. Wenn es Situationen gibt, die ich doof finde, kämpfe ich nicht dagegen an, weil ich dann darunter leide. Ich nehme die Dinge für mich an. Ich habe mit dem Tod Freundschaft geschlossen und frage ihn immer wieder: Wenn du mich jetzt am nächsten Freitag holen würdest, wie würdest du dann heute diese Entscheidung treffen? Den Tod zum Freund des Lebens machen. Bei den Mönchen nennt man das Memento mori. Die haben den Totenschädel auf dem Schreibtisch stehen und führen sich immer wieder vor Augen, dass das Leben endlich ist.
Meditation soll laut Studien bei psychischen Erkrankungen wie Depressionen oder Angststörungen helfen. Haben Sie damit Erfahrungen gemacht?
Ich sage immer ganz gern: Wenn wir meditieren, um zu – dann sollten wir es sein lassen. Weil wir uns dann selbst unter Druck setzen. Wenn ich jetzt meditiere, um mich psychisch zu entlasten, warte ich darauf, dass das geschieht. Gerade in der Meditation entscheide ich mich dagegen, auf etwas zu warten. Es geht um diesen Moment, um die Gegenwart. Aber diesen Studien kann ich folgen, weil das eine Nebenwirkung der Meditation ist, so würde ich es beschreiben.
Wir werden als Unikat geboren und viele von uns sterben als Kopie.
Bodo Janssen wurde 1974 geboren und hat BWL und Sinologie studiert
Ein Satz aus dem Buch ist mir besonders aufgefallen: „Denn wo Gedanken still geworden sind, bekommt die Wahrheit die Chance, im Schweigen gehört zu werden.“ Was genau steckt dahinter?
Unsere Gedanken und unsere Gefühle sind häufig die Produkte einer Konditionierung aus unserer Vergangenheit. Das können Einflüsse von Menschen sein, die uns nahestehen oder denen wir in unserer Vergangenheit begegnet sind. Sie haben unser Denken und Fühlen konditioniert und unser Weltbild geformt. Häufig erleben wir, dass wir uns mit diesen Gedanken identifizieren – die Mönche nennen das Schlafen, in der Psychologie ist das das Unbewusste.
Wenn ich sage, ich bin wütend, dann identifiziere ich mich mit irgendetwas, das von außen an mich herangetragen wurde. In der Stille kann ich das ein Stück weit unterscheiden, man nennt das auch Disidentifizierung mit den Gedanken. Nicht ich bin wütend, sondern Wut entsteht in mir. Ich trenne das, was ich denke, von dem, der ich wirklich bin.
Das beginnt als Neugeborenes. In dem Moment, wo wir beginnen, „ich“ und „mein“ zu sagen, fangen wir an, uns mit den Dingen zu identifizieren. Das ist mein Auto, das ist mein Spielzeug. Aber letztendlich hat das sehr wenig mit dem zu tun, wer wir wirklich sind. Wir werden als Unikat geboren und viele von uns sterben als Kopie. Unsere Gedanken sind häufig eine Kopie der Dinge, die an uns herangetragen worden sind – durch Lehrer, Nachrichten, alles, was von außen kommt.
In der Stille finde ich einen Weg, meine Gedanken zu hinterfragen. Woher kommen die? Häufig ist die Quelle nicht die Gegenwart, sondern die findet sich irgendwo in unserer Geschichte. Die Stille hilft, sich davon vorübergehend frei zu machen. Anders ausgedrückt: Die Wolken sind nicht der Himmel. Unsere Gedanken sind die Wolken und unser Selbst ist der Himmel. Früher konnte ich nicht in die Stille gehen, weil ich Angst vor den Gedanken hatte, die mich an meine Entführung erinnert haben. Heute weiß ich, dass diese mir nichts können. Es sind nur Gedanken.
Haben Sie eine persönliche Lieblingsstelle im Buch?
Meine Lieblingskapitel sind tatsächlich die über den Tod und über die Liebe. Ganz besonders über die Liebe, weil das eine Geschichte ist, die mich selbst beim Schreiben tief berührt hat. Die ist entstanden, während ich das Buch geschrieben habe. Das war für mich eine so berührende und starke Erkenntnis, die ich dort für mich gewinnen konnte, dass ich mich diesem Kapitel so verbunden fühle.
Was raten Sie Einsteigerinnen und Einsteigern in Sachen Meditation?
Kein Motiv zu verfolgen und die Meditation nicht zu verzwecken. Das können wir ja ganz gut. Wir Menschen machen nur Dinge, um zu: Ich mähe den Rasen, damit er kurz ist. Ich spüle das Geschirr, damit es sauber ist. Ich meditiere, um entspannter zu sein. Das möchte ich den Menschen mit auf den Weg geben, dass sie einfach meditieren, ohne die Erwartung zu haben, dass da für sie sofort etwas heraus entsteht. Dass sie vielleicht ein Stück weit Hoffnung haben und irgendwann plötzlich merken: Irgendetwas hat sich in meinem Leben verbessert. Ich weiß gar nicht, was, aber es fühlt sich richtig gut an.
Nur, weil wir uns Dinge nicht vorstellen können, heißt das noch lange nicht, dass es sie nicht gibt. Dazu gibt es eine Geschichte: Ein Obdachloser, der auf Straße sitzt und sich nicht bewusst ist, dass er eigentlich ein 100 Millionen Euro schweres Konto besitzt. Das ist Meditation für mich. Die ebnet diesen Weg zu diesem Konto im übertragenen Sinne. Aber nicht, weil ich es will, sondern weil es einfach irgendwann geschieht.
Bodo Janssens Buch „Stille“ erscheint am 1. November 2021 im Ariston-Verlag.