Die Liebe zum Laden: Wie geht es kleinen Geschäften in der Pandemie?

Lieferengpässe und die Zunahme des Onlinehandels sorgen für Umsatzeinbußen in vielen Geschäften.

Lieferengpässe und die Zunahme des Onlinehandels sorgen für Umsatzeinbußen in vielen Geschäften.

An einem sonnigen Vormittag in Lille im Norden Frankreichs stehen rund zwei Dutzend Menschen vor einem historischen Gebäude in der Altstadt und warten geduldig, bis die Boutique eines französischen Labels ihre Türen öffnet. Schließlich bittet ein Sicherheitsdienst am Eingang die Kundschaft höflich herein. Allgemeines Schauen und Staunen. Kein Gewühl zwischen Pullover- und Jeansstapeln. Die gibt es auch gar nicht. Vielmehr sind einzelne Kleidungsstücke dekorativ zwischen nicht käuflichen Retromöbeln verteilt. Wer ein T-Shirt oder ein Kleid in seiner Größe sucht, muss auf die wie Models aussehenden Verkäuferinnen und Verkäufer zugehen, die sich unaufdringlich, aber auch ein bisschen unnahbar mit hinter dem Rücken verschränkten Armen im Hintergrund halten. Diese Boutique ist mehr Showroom als Shop.

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Verschwinden klassische Boutiquen?

Die Marke konzentriert sich primär auf den Onlineverkauf, der so gut läuft, dass sie es sich leisten kann, vereinzelte Läden zu unterhalten, die lediglich der Präsentation dienen. Die paar ausgestellten Teile sollen Appetit machen auf das weitaus reichere Angebot im Netz. Auf die Idee, dass persönliche Beratung in modischen Fragen mehr Vorteile haben könnte als die schnelle Internetbestellung, will man die Kundinnen und Kunden offenbar erst gar nicht bringen. Setzt nach dem Kaufhaussterben nun auch bald das Verschwinden der klassischen Boutique mit ihrem kleinen, aber feinen Warenangebot und dem individuellen Service ein?

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Pandemiebedingt habe 2021 der stationäre Einzelhandel insbesondere im Bereich Bekleidung, Schuhe und Lederwaren Umsatzeinbußen von bis zu 30 Prozent hinnehmen müssen, heißt es vom Statistischen Bundesamt. Auch Lieferpro­bleme machten der Branche zu schaffen. Neben Ketten und Kaufhäusern kämpfen auch kleine Läden ums Überleben. Der Bundesverband des Deutschen Textileinzelhandels (BTE) vermeldete für 2019 die Schließung von rund 700 kleineren selbstständigen Bekleidungsgeschäften in Deutschland. Die Zahlen für 2020 liegen noch nicht vor. Doch BTE-Sprecher Axel Augustin rechnet wieder mit „mehreren Hundert“ Schließungen. Er macht allerdings weniger die Pandemie für den Rückgang verantwortlich. Auch die Verdrängung durch Onlinevertriebsformen spiele eine Rolle. Hauptgrund für die Schließungen kleinerer Modegeschäfte sei jedoch die demografische Situation: „Die geburtenstarken Jahrgänge gehen langsam in Rente. Ladeninhaber und -inhaberinnen haben Mühe, geeignete Nachfolger zu finden“, sagt Augustin.

Demografischer Wandel sorgt für Nachwuchsprobleme

Hela Spieker, Gründerin der Boutique Macke im Berliner Stadtteil Schöneberg, sucht gar nicht erst jemanden, der ihren Laden übernimmt. Sie will ihn so lange selbst führen, „bis es nicht mehr geht“, betont sie. 70 Jahre alt ist die Geschäftsfrau. Die Arbeit mit Mode sei ihr Lebensinhalt. Doch sie räumt ein, dass es in Zeiten von Pandemie, Onlinehandel und Fast Fashion schwierig ist, sich mit einem Bekleidungsgeschäft selbstständig zu machen. „Stünde ich heute vor der Entscheidung, würde ich es nicht tun – und auch keinem dazu raten“, sagt sie.

Ehrlichkeit gehört neben „Liebe für die Sache, Enthusiasmus und Ausdauer“ für Spieker zum Erfolgsrezept ihrer Boutique, die seit 1982 besteht. Das Sortiment hat sich mittlerweile geändert, einige Kundinnen der ersten Stunde kaufen jedoch noch regelmäßig bei Macke ein.

Trend zu nachhaltiger Mode

Der wenig elegante Name ihres Geschäfts geht darauf zurück, dass sie einst Designerware mit kleinen Fehlern zu reduzierten Preisen anbot. Heute setzt Spieker nicht mehr auf Luxuslabels, sondern auf nachhaltige Berliner Marken und Einzelstücke junger Brands aus Belgien oder Dänemark. Damit hat sie in den vergangenen Jahren auch jüngere Kundinnen gewonnen, die regelmäßig kommen – und Spiekers Beratung schätzen. Wer nur schauen will, den lässt sie in Ruhe. Doch die meisten, die kommen, lassen sich gern beraten. „Man muss schon ein gewisses Feingefühl in diesem Job mitbringen. Ich sehe, wenn sich jemand in einem Kleidungsstück nicht wohlfühlt, und dann schwatze ich ihm das auch nicht auf, sondern suche nach Alternativen“, sagt Spieker.

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Nach einer Umfrage von 2021 des Meinungsforschungsinstituts YouGov schätzt mehr als die Hälfte der Deutschen am Offlineeinkauf das Testen und Probieren der Produkte vor Ort. Dabei wird der Einkauf nicht nur zum Erlebnis, sondern auch zu einer Form der Begegnung, besonders wenn eine Beziehung zwischen Kundin oder Kunde und Verkäuferin oder Verkäufer entsteht. Darin sieht Axel Augustin vom BTE nicht zuletzt die entscheidende Chance für kleine Geschäfte: „Erfolgreiche Boutiquen leben von der Persönlichkeit ihrer Inhaber. Die Lage ist dabei egal. Hat man sich Stammkundschaft aufgebaut, kommt die überall hin.“

„Erfolgreiche Boutiquen leben von der Persönlichkeit ihrer Inhaber“

Das bestätigt auch Katharina Meerkamp. Die ehemalige Personalmanagerin hat sich 2018 ihren Traum erfüllt und mit Aest. einen Conceptstore für Damenmode und Accessoires skandinavischer Marken im Düsseldorfer Stadtteil Flingern eröffnet. Düsseldorf gilt mit seiner Vielzahl an Showrooms und der Königsallee mit ihren Luxusgeschäften seit Jahrzehnten als Deutschlands Modehauptstadt. Wie kann man hier als Ladenbesitzerin überleben?

„Neben individueller Beratung besteht die Herausforderung darin, mithilfe der sozialen Medien auf sich aufmerksam zu machen“, sagt Meerkamp. Corona habe sie zwischenzeitlich an ihre Grenzen gebracht, gesteht die 38-Jährige. Im Lockdown hat sie einen Onlineshop gegründet. Außerdem stellt sie auf Social-Media-Plattformen regelmäßig aktuelle Kollektionen vor. Während der lockdownbedingten Geschäftsschließung konnte sie so neue Kundinnen gewinnen – und die alten weiter an sich binden. Konkurrenz fürchtet Meerkamp nicht, weil sie meint, gar keine zu haben: „In unserem Stadtteil hat jedes Geschäft seine Nische, wir kommen uns nicht in die Quere, sondern schicken uns sogar gegenseitig Kunden zu“, berichtet sie. Insgesamt blickt sie positiv in die Zukunft: „Man muss nur seiner Linie treu bleiben, dann schafft man es, auch in harten Zeiten mit seinem Geschäft zu überleben.“

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