Fachfrau im Gespräch: “Mittlerweile sind Zecken fast das ganze Jahr über aktiv”
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Eine lebendiger Gemeiner Holzbock (Ixodes ricinus) sitzt in der Parasitologie der Universität Hohenheim auf einem schwarzen Stück Karton. Diese Zecke ist in Deutschland weit verbreitet- aber auch neue Arten wandern inzwischen ein.
© Quelle: Marijan Murat/dpa
Frau Mackenstedt, als Parasitologin forschen Sie zu winzigen Tieren, die bei Menschen nicht sonderlich beliebt sind. Was fasziniert Sie an Zecken?
Zecken sind sehr urtümliche Tiere, die seit mehr als 100 Millionen Jahren auf der Erde leben. Weltweit gibt es rund 900 Arten. Eine Zecke kann locker ein Jahr lang hungern und wartet geduldig auf einen Wirt. Es sind reine Blutsauger, die faszinierende Strategien entwickelt haben, um auf Wirte zu treffen.
Zecken werden zudem sehr alt: Der Lebenszyklus des in Deutschland am häufigsten anzutreffenden Gemeinen Holzbocks, also Ixodes ricinus, dauert etwa sechs bis sieben Jahre und umfasst verschiedene Entwicklungsstadien.
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Prof. Dr. Ute Mackenstedt ist Expertin für Zecken. Sie forscht im Fachgebiet Parasitologie an der Universität Hohenheim.
© Quelle: Privat
Das Deutsche Rote Kreuz hat davor gewarnt, dass in diesem Jahr besonders viele Zecken im Grünen lauern. Sehen Sie das auch so?
Es ist anhand unserer Daten extrem schwierig, eine Prognose für diesen Sommer zu machen. Die Anzahl der Zecken, die in der Saison wirklich aktiv und wirtsuchend sind, hängt nicht nur von den Temperaturen jetzt ab, sondern auch von deren Entwicklung von vor ein oder zwei Jahren zuvor.
Zecken häuten sich im Verlauf ihrer Entwicklung und diese Häutungen erfolgen nach den Blutmahlzeiten. Entscheidend ist aber auch, wann sie diese hatten, früh im Jahr oder erst in der zweiten Jahreshälfte. Je nachdem häuten sich die Zecken noch im selben Jahr oder warten damit auf das nächste Jahr. Mittlerweile sind Zecken fast das ganze Jahr über aktiv, da die Wintertemperaturen nicht mehr im Minusbereich liegen, sondern häufig sogar über zehn Grad betragen.
Zecken sind inzwischen auch im Winter aktiv
Diese Veränderungen in der Verbreitung von Zecken, die schon seit vielen Jahren beobachtet werden, hängen sicher auch mit dem Klimawandel zusammen.
Wieso lauern Zecken in Deutschland denn inzwischen ganzjährig?
Erst bei länger anhaltenden Temperaturen von über sieben Grad werden Zecken aktiv. In früheren Jahrzehnten gab es deshalb eine Winterruhe von Ende November bis Ende Februar. Weil unsere Winter aber deutlich wärmer werden, müssen wir uns daran gewöhnen, dass sie das ganze Jahr über aktiv sind.
Hohe Temperaturen und lange Trockenperioden mit einer geringen Luftfeuchtigkeit erträgt der Gemeine Holzbock aber auch nicht gut. Die Sonne knallt, die relative Luftfeuchtigkeit nimmt stark ab. Deshalb gibt es im Juli und August weniger aktive Zecken. Sie ziehen sich dann zurück ins schattige Laubstreu.
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Der Gemeine Holzbock, Ixodes ricinus, ist in Deutschland weit verbreitet und gehört zu den Lauerzecken.
© Quelle: imago images/blickwinkel
Gibt es in Deutschland denn grundsätzlich immer mehr Zecken?
Nur etwa zehn Prozent der Zecken sind wirtsuchend. Die Mehrheit harrt im Laubstreu aus. Wir wissen also nicht so genau, wie viele Zecken es insgesamt gibt. Unsere Daten zeigen regional unterschiedliche Zeckenzahlen, aber wir können nicht erkennen, dass die Anzahl der Zecken in diesem Jahr extrem hoch ist.
Mittlerweile kommen bei uns heimische Zeckenarten wie der Gemeine Holzbock auch in Skandinavien vor. Diese Veränderungen in der Verbreitung von Zecken, die schon seit vielen Jahren beobachtet werden, hängen sicher auch mit dem Klimawandel zusammen.
Riesen-Zecke Hyalomma wandert ein
Haben auch wir in Deutschland bald mit weiteren Zeckenarten zu tun?
Das kann sehr gut sein. Wir beobachten dies zum Beispiel bei der Hyalomma-Zecke. Diese Art ist sicher auch schon früher mit Zugvögeln nach Deutschland gekommen, aber sie konnte die Häutung zur erwachsenen Zecke nicht durchlaufen, da Hyalomma dafür lange Trockenperioden benötigt. Diese sind hierzulande mittlerweile immer häufiger zu beobachten.
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Hyalomma-Zecken sind eigentlich in Südeuropa, Asien und Afrika verbreitet. Seit einigen Jahren wurden einzelne Tiere auch in mehreren Bundesländern in Deutschland nachgewiesen.
© Quelle: Andrea Schnartendorff/Robert Koch-Institut/dpa
Und im Norden Deutschlands gibt es immer noch weniger Zecken als im Süden?
Es ist ein Irrglaube, dass es im Norden weniger Zecken als in Süddeutschland gibt. Das stimmt einfach nicht. Man vermischt da zwei Sachen: Wir sehen ein Gefälle zwischen Nord und Süd beim Auftreten von FSME-Infektionen. Rund 80 Prozent der Fälle treten in Baden-Württemberg auf, kaum welche im Norden. Das hat aber nichts mit der Anzahl der Zecken zu tun. Es gibt in Nord- und Süddeutschland ungefähr gleich viele Zecken.
Wieso treten im Süden mehr FSME-Fälle auf?
Diese Frage ist nur schwer zu beantworten, da FSME-positive Zecken nur in sehr kleinräumigen Naturherden vorkommen und viele Faktoren im Zyklus der FSME-Viren eine Rolle spielen: die Anzahl der Nagetiere, die Anzahl der mit FSME infizierten Nagetiere und die Anzahl der Zecken. Für die Verbreitung von FSME-positiven Zecken spielen auch Großtiere wie Rehe, Schwarzwild, aber auch Füchse oder Vögel eine Rolle. Und letztlich ist es auch entscheidend, ob der Mensch diese Naturherde auch betritt.
Ist es möglich, neue Hotspots von FSME übertragenden Zecken in Deutschland vorauszusagen?
Daran forschen wir. Es wäre wunderbar, wenn wir eine Methode entwickeln könnten, mit der wir zuverlässig prognostizieren könnten, in welchen Naturherden es in Zukunft ein besonders hohes FSME-Risiko gibt. Aber das menschliche Verhalten ist nicht zu kalkulieren und ebendies ist ein sehr wichtiger Faktor.
Gemeinsamkeit von Coronavirus und Zecken: Das Infektionsrisiko
Neue Zeckenarten bergen das Risiko, dass neue Krankheitserreger auftauchen könnten. Das sehen wir schon jetzt bei der Hyalomma-Zecke.
Die Corona-Krise treibt dieses Jahr mehr Menschen in die Natur. Bekommen wir dadurch höhere FSME-Fallzahlen?
Nicht unbedingt. Es hängt immer davon ab, ob Menschen Naturherde betreten oder nicht. Wenn das Wetter schön ist, dann ist die Wahrscheinlichkeit eines Kontaktes zwischen Zecke und Mensch höher als wenn es den ganzen Sommer über in Strömen regnet und niemand in den Wald geht. Im Moment sehen wir nicht, dass die Anzahl der FSME-Fälle in diesem Jahr zunimmt.
Wegen der Corona-Pandemie reden wir viel über die steigende Gefahr durch Infektionskrankheiten. Könnten neu eingewanderte Zeckenarten neue Erreger ähnlich dem Coronavirus auf den Menschen übertragen?
Das ist nicht auszuschließen. Neue Zeckenarten bergen das Risiko, dass neue Krankheitserreger auftauchen könnten. Das sehen wir schon jetzt bei der Hyalomma-Zecke. Die spielt zwar im Gegensatz zum weit verbreiteten Gemeinen Holzbock bei der Übertragung von Borreliose und FSME keine Rolle. Aber sie kann beim Menschen gefährliche Virus-Erkrankungen wie das Krim-Kongo Hämorrhagisches Fieber auslösen.
Helle Kleidung kann schützen
Der Gemeine Holzbock ist länger aktiv, neue Arten breiten sich weiter aus. Kann ich trotz Infektionsrisiko noch guten Gewissens einen Waldspaziergang machen?
Ja selbstverständlich! Zecken hat es schon immer viele gegeben. Behalten Sie aber im Hinterkopf: Wer in den Wald, in den Garten, in den Park geht, betritt Zeckengebiet. Und da können dann bestimmte Vorkehrungen getroffen werden.
Wie sollte ich mich vor meinem Besuch im Grünen schützen?
Lange, helle Kleidung, Socken über die Hose ziehen, das kann auch helfen. Nach einem ausgiebigen Spaziergang absuchen: Das ist nach wie vor die sicherste Methode. Wer auf Nummer sicher gehen will, nicht an FSME zu erkranken, kann sich auch impfen lassen.
Es hilft, sich mit Repellentien einzusprühen. Das verhindert einen Zeckenstich nicht immer, kann aber eine abschreckende Wirkung auf die Zecken haben. Man muss sich vor Augen führen, dass der gemeine Holzbock blind ist und uns nicht sieht. Er kann uns nur chemisch wahrnehmen.
Die Zecke entdeckt mich also nicht von weitem und springt von oben auf mich herab?
Das ist ein Mythos. Der Gemeine Holzbock gehört zu den sogenannten Lauerzecken und lässt sich vom Wirt abstreifen. Die Zecke springt nicht und lässt sich auch nicht von Bäumen fallen. Zecken kommen bis zu einer Höhe von 150 Zentimetern, höher nicht. Die Zecke hat an den Beinen Sporne und kleine Haare, damit kann sie sich unglaublich gut festhalten. Anders sieht es bei der Hyalomma-Zecke aus. Das ist eine Jagdzecke, die direkt auf einen Wirt zuläuft.
Neue Ansätze zur Zecken-Bekämpfung
Am vielversprechendsten erachten wir einen seit 2004 im Labor herangezüchteten Pilz.
Es gibt neue Forschungsansätze zur Bekämpfung von Zecken. Woran arbeiten Sie und was erachten Sie als vielversprechend für die Zukunft?
Wer Zecken bekämpfen will, braucht einen Gegenspieler, der aktiv in den Organismus eindringt. Da gibt es beispielsweise kleine Erzwespen, die ihre Eier in der Zecke ablegen. Schlüpfen die Wespen, zerstören sie die Zecken. Es gibt auch Fadenwürmer, die man in der biologischen Schädlingsbekämpfung einsetzt.
Am vielversprechendsten erachten wir einen seit 2004 im Labor herangezüchteten Pilz. Die Forschung ist aber noch nicht soweit, dass eine Marktreife erreicht ist.
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So sieht eine mit einem speziellen Pilz (Metarhizium) infizierte Zecke unter Laborbedingungen aus.
© Quelle: Ute Mackenstedt
Mit so einem Pilz hätten wir dann die Zecken-Gefahr in Deutschland gebannt?
Es geht nicht darum, ganze Landstriche zeckenfrei zu bekommen und Arten auszurotten. Aber man könnte versuchen, solche Pilze an bestimmten Orten zur Reduzierung der Zeckenzahl einzusetzen. Zum Beispiel in Waldkindergärten, auf Spielplätzen und Grillplätzen, also da, wo der Kontakt zwischen Mensch und Zecke besonders häufig stattfindet.