Klimaexperte Sven Plöger: „Wir müssen einfach mal anfangen“
Sven Plöger ist Diplom-Meteorologe und Klimaexperte.
© Quelle: Frank Koschembar
Herr Plöger, seit Jahren ist bekannt, welche Gefahr der Klimawandel darstellt. Getan hat sich wenig. Sind wir mittlerweile nicht viel zu spät dran?
Wir haben in den letzten 30 Jahren ziemlich viel verschlafen. Seit etwa dieser Zeit sagt uns die Wissenschaft sehr deutlich, wo wir stehen. Hätten wir direkt auf sie gehört und schon damals entsprechend gehandelt, dann hätten wir dieses extreme Wetter nicht heraufbeschworen. Das haben wir aber nicht gemacht – in unserer für das Klimathema oft zu kurzfristigen Denkweise erschienen uns die Kosten zu hoch. Und jetzt, wo wir merken, dass unser Wetter aus den Fugen gerät, kriegen viele Menschen einen Schreck und fangen an, zu überlegen: Die Trockenheit, das fehlende Wasser, die absterbenden Bäume, der Starkregen – welche Folgen wird das haben?
Und?
Wenn man zu spät dran ist, dann muss man stärker am Steuer drehen, um den Kurs zu korrigieren. Im Grunde ist es wie bei Corona: Wir müssten jetzt bereit sein, ganz starke Veränderungen hinzunehmen. Momentan aber gelingt es ja nicht einmal ein Tempolimit von 130 auf den Autobahnen einzuführen – obwohl man dafür nur ein paar Schilder aufstellen müsste. Das ist ein Beispiel dafür, wie Lobbygruppen versuchen, ihre Pfründe abzusichern. Solange man mit Riesenautos noch rasen kann, gilt eben das Motto: Nach mir die Sintflut. Diese Haltung darf sich aber nicht durchsetzen, und deshalb glaube ich, dass zum Beispiel die Jugend von Fridays for Future in die Politik gehen muss, um durch ihr zahlreiches Auftreten dort umzusteuern und dies nicht nur von der Straße aus anzuregen. Denn wir brauchen politische Rahmenbedingungen und eine finanzielle Steuerung.
Es gibt inzwischen sehr viele Erkenntnisse über den Klimawandel. Warum tun wir noch so wenig dagegen?
Sir Frances Bacon hat den berühmten Satz gesagt: „Wissen ist Macht.“ Ich finde ihn fast noch interessanter, wenn man ihn umdreht: „Unwissen ist Ohnmacht.“ Ich sehe bei uns zwar ein wachsendes Klimawissen, aber trotzdem geistert noch erschreckend viel Halb- und Unwissen durchs Land, dass wir da eine wirklich große Baustelle haben. Man kann einfach keine guten Entscheidungen für die Zukunft fällen, wenn man nicht erkennt, warum welche Entscheidungen wann geboten sind.
Unwissenheit ist das eine – aber wie erklären Sie sich den Zulauf der Klimawandelleugner?
Ich denke nicht, dass es in deren Lager einen Zuwachs gibt, aber ein „lauter werden“, für das auch in vielen Medien und dem Netz zu viel Platz eingeräumt wird. Und einer meiner Lieblingssätze ist „Wir werden immer dümmer“. Damit meine ich, dass der Anteil des Einzelnen am stetig wachsenden, kollektiven Wissen dieser Welt immer geringer wird. Das führt dazu, dass man eine ständige Informationsflut sortieren muss. Das fällt vielen schwer, und das ist leider eine Chance für den Populismus. Da tauchen dann Menschen auf, die einem mit ein paar Sätzen die Welt erklären und ordnen. Das Anzweifeln der Wissenschaft funktioniert naturgemäß bei den Menschen besonders gut, die wenig Ahnung von Physik haben. Auch hier ist Unwissen dann eben Ohnmacht.
Was kann man dagegen tun?
Es ist aus meiner Sicht ganz wichtig, dass wir die Wissenschaft „bevölkerungsnäher“ übersetzen. Wir müssen den Klimawandel mit Wissen anschaulich machen, nicht mit Ideologie, nicht mit Überzeichnung. Wir können die wirklichen Bilder zeigen, wir können sachlich informieren.
Ich könnte schreiend durchdrehen, weil ich denke: Meine Güte, seht ihr die Situation nicht? Aber das nutzt ja weder mir noch anderen.
Haben Sie nicht manchmal das Gefühl: Die Dimensionen des Klimawandels sind so gewaltig – da kann man nur emotional reagieren?
Klar. Ich komme mir im Moment so vor, als sei ich Zuschauer eines beginnenden Blockbusters. Ich schaue auf die Protagonisten dieses Films, eben auf uns alle, und sehe dort eine überraschende Sorglosigkeit oder vielleicht Hilflosigkeit, die in eine verblüffende Trägheit mündet, und weiß genau, dass in diesem Film gleich etwas absolut Dramatisches passiert. So funktioniert dieses Genre ja auch. Diese Außenansicht macht mich emotional völlig verrückt. Ich könnte schreiend durchdrehen, weil ich denke: Meine Güte, seht ihr die Situation nicht? Aber das nutzt ja weder mir noch anderen. Wenn ich etwas von meinem Wissen übertragen möchte, dann muss ich versuchen, diese Emotionen wieder herauszunehmen. Das Vernünftigste ist es, eine gesunde Sacharbeit zu machen, um möglichst viele Menschen darüber in Kenntnis zu setzen, wo wir stehen.
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Sven Plöger: „Zieht euch warm an, es wird heiß!“, Westend-Verlag, 19,95 Euro.
© Quelle: Westend
Legen wir in Deutschland noch zu viel Verantwortung auf den Einzelnen um? Der Einzelne muss weniger Fleisch essen, keine Plastiktüten mehr verwenden, weniger Auto fahren.
Ich bin der festen Meinung, dass Freiwilligkeit und das Setzen auf den Einzelnen keinen Erfolg bringen. Das hat es noch nie, jedenfalls nicht in der Masse und die brauchen wir nun mal für einen wirklichen Erfolg. Deswegen spreche ich ja von Rahmenbedingungen. Wenn keiner mehr Plastiktüten anbietet, kann auch niemand welche kaufen. Ich glaube aber, dass es noch sehr viel Angst in der Politik gibt, durch „klare Kante“ Wählerstimmen zu verlieren. Daher hört man erkennbar häufig auf Lobbygruppen, um irgendwie allen was zu bieten. Dabei hat die Europawahl 2019 gezeigt, dass man auch Wahlen gewinnen kann, wenn man sagt: Der Klimawandel ist ein wichtiges Thema und wir müssen die Dinge verändern.
Müssen wir uns in Deutschland noch besser vor den Auswirkungen des Klimawandels schützen?
Ja, klar. Denn selbst wenn wir sehr viele Korrekturen schaffen, was im Moment nicht so aussieht, wird beispielsweise der Meeresspiegel trotzdem steigen. Wir sind auch da noch viel zu langsam. Allerdings dürfen wir auch nicht den Fehler machen, nur auf die Anpassung an den Klimawandel zu schauen. Dazu neigen wir, weil die Anpassung immer sehr klar und offensichtlich vor Ort ist: Ich muss einen höheren Deich bauen, wenn der Meeresspiegel steigt. Die Strategie, die aber weiter im Mittelpunkt stehen muss, ist das Vermeiden von Emissionen.
Ich will mir den Optimismus niemals nehmen lassen
In der Corona-Krise haben wir gelernt: Die eine perfekte Lösung gibt es oft nicht. Fehlt uns diese Einsicht beim Klimawandel noch?
Ja, das ist eines der Hauptprobleme. Wir müssen einfach mal anfangen. Dabei werden wir Fehler machen, das gehört dazu. Stattdessen zerreden wir aber Dinge, weil wir drei Nachteile finden und uns dann zu gar nichts mehr trauen. Dabei gibt es ja inzwischen sehr viele Erkenntnisse, zum Beispiel wenn es um das klimafreundliche Bauen geht. Ich habe zum Beispiel mein Haus umgebaut, seit 2013 produziere ich Energie. Und jedes Mal, wenn uns jemand besucht, sagen die Leute: „Wow, das wollen wir auch.“ Wir sollten einfach beginnen, nachmachen lassen und beim Nachmachen verbessern. Denn die Langsamkeit, die wir uns in der Geschichte oft gönnen konnten, die können wir uns beim Thema Klimawandel nicht leisten. Den zeitlichen Rahmen geben physikalische Prozesse vor und die interessieren sich nun mal nicht für uns.
Sind sie optimistisch, dass wir es noch schaffen?
Wenn ich sage, ich bin noch optimistisch, dann wirke ich schnell naiv. Aber ich will mir den Optimismus niemals nehmen lassen. Optimismus ist das Einzige, was wir haben. Weinerlich zu sagen, dass wir das, was wir in die falsche Richtung gelenkt haben nun aus Mut- und Ideenlosigkeit nicht mehr bereit sind zu korrigieren, ist gegenüber den nachfolgenden Generationen mehr als unfair. Und die Wissenschaft sagt auch klar, dass wir das 1,5-Grad-Ziel theoretisch noch erreichen können, wenn wir wirklich das tun, was wir uns auf der internationalen politischen Bühne längst in die Hand versprochen haben. Solange etwas möglich ist, sollte man auch dafür kämpfen.
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