Künstliche Befruchtung: Wie gesund sind die Wunschkinder?
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Bei der sogenannten ICSI-Methode wird gezielt das beste Spermium ausgewählt und außerhalb des Körpers in die Eizelle gespritzt. Ein Scheitern der Befruchtung wird dadurch unwahrscheinlicher.
© Quelle: Praxiszentrum für Frauenheilkunde
Seit dem Jahr 1978, als mit Louise Brown das erste „Retortenbaby“ der Welt geboren wurde, sind weltweit rund zehn Millionen Kinder nach einer künstlichen Befruchtung auf die Welt gekommen. In Deutschland allein waren es zwischen 1997 und 2019 mehr als 340.000. Wie leben diese Kinder? Sind sie gesund und wachsen sie genau so auf wie natürlich gezeugte Kinder? Oder haben sie gesundheitliche Probleme, die womöglich auf die Behandlung zurückzuführen sind?
Auf Fragen wie diese suchen vor allem die Eltern, aber auch die behandelnden Ärztinnen und Ärzte sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Antworten. „Wir überschreiten ja letztlich Grenzen, wir ermöglichen die Entstehung von Kindern, die sonst nicht zur Welt gekommen wären“, sagt die Gynäkologin Barbara Sonntag, die als Ärztin eines Hamburger Kinderwunschzentrums Paaren zum Wunschkind verhilft.
Wenn von einer künstlichen Befruchtung die Rede ist, geht es meist um eine IVF- (In-vitro-Fertilisation) oder eine ICSI-Behandlung (intrazytoplasmatische Spermieninjektion). Bei der IVF wird eine der Mutter zuvor entnommene Eizelle außerhalb des Körpers mit Sperma des Vaters in Kontakt gebracht. Bei der ICSI, dem am häufigsten eingesetzten Verfahren, wird ein einzelnes Spermium außerhalb des Körpers gezielt in die Eizelle gespritzt.
In beiden Fällen wird die Eizellreifung bei der Frau zuvor medikamentös stimuliert. Ziel ist es, in einem Zyklus gleich mehrere Eizellen für die spätere Behandlung heranreifen zu lassen. Nach einigen Tagen Wachstum in der Zellkultur wird die befruchtete Eizelle dann in die Gebärmutter gesetzt.
„IVF und ICSI sind die invasivsten Formen der Kinderwunschbehandlung, weil die Befruchtung außerhalb des Körpers erfolgt. Da gibt es einfach viele Bedingungen, die sich von denen im Mutterleib unterscheiden“, erläutert Sonntag. Und eben diese abweichenden Bedingungen könnten sich auf die Gesundheit der Kinder auswirken. Möglich ist zum Beispiel, dass die eingesetzten Medikamente zur Stimulation der Eizellreifung die spätere Entwicklung des Embryos beeinflussen. Auch die Inhaltsstoffe der Zellkultur, in der sich die befruchtete Eizelle zunächst entwickelt oder allgemein die Kulturbedingungen während der Zeit außerhalb des Körpers könnten sich auswirken, etwa indem sie die Aktivität der Gene verändern.
Überwiegende Mehrheit der Kinder kommt gesund zur Welt
Als erwiesen gilt mittlerweile, dass Kinder nach einer Kinderwunschbehandlung häufiger mit einer Fehlbildung zur Welt kommen als natürlich empfangene Kinder, vor allem am Herzen, dem Magen-Darm-Trakt, den Nieren und den Harnwegen. „Man muss allerdings dabei berücksichtigen, dass das Risiko für eine Fehlbildung in absoluten Zahlen gering ist“, sagt Sonntag. Selbst bei einer Verdopplung des Risikos für eine bestimmte Fehlbildung, von beispielsweise 2 auf 4 Prozent, komme die überwiegende Mehrheit der Kinder gesund zur Welt. Ebenfalls recht eindeutig belegt ist, dass Kinder nach einer künstlichen Befruchtung im Schnitt etwas früher mit einem etwas geringeren Geburtsgewicht zur Welt kommen.
Aber wie sind diese Ergebnisse zu bewerten? Ist der Effekt tatsächlich auf die Kinderwunschbehandlung zurückzuführen, oder ist er eine Folge der eingeschränkten Fruchtbarkeit der Eltern? Diese Frage beschreiben Forschende im Zusammenhang mit möglichen Folgen der Kinderwunschbehandlung auch als das Henne-oder-Ei-Problem. „Man versucht zu differenzieren: Was ist bedingt durch die Kulturtechniken, die hormonelle Behandlung etc., und was ist gegebenenfalls bedingt durch die herabgesetzte Fruchtbarkeit der Eltern, die die Behandlung überhaupt erst nötig macht, oder andere elterliche Faktoren“, erläutert Sonntag, die auch Mitglied im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Reproduktionsmedizin ist.
Eine aktuelle Studie aus den USA kommt zu dem Schluss, dass die Unterschiede bei Geburtsgewicht und -zeitpunkt verschwinden, sobald familiäre Faktoren wie das Alter der Mutter bei der Geburt oder ihr Body-Mass-Index in der Auswertung berücksichtigt werden. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hatten zum einen Kinder nach einer Kinderwunschbehandlung mit natürlich empfangenen Kindern verglichen. Zum anderen hatten sie Daten von Müttern ausgewertet, die sowohl auf natürlichem Weg als auch nach einer künstlichen Befruchtung ein Kind bekommen hatten. Sie kommen im Fachmagazin „Obstetrics & Gynecology“ zu dem Schluss, dass ein Einfluss der angewandten Behandlung unwahrscheinlich ist.
Generelles Risiko kann von kleinen Studie nicht abgeleitet werden
Auch im Zusammenhang mit den bisher weniger gut untersuchten möglichen gesundheitlichen Langzeitfolgen künstlicher Befruchtungen ist die Henne-oder-Ei-Frage zentral. Ein Beispiel: Forschende aus der Schweiz berichteten 2018, dass Kinder, die sie im Alter von etwa 17 Jahren untersucht hatten, Veränderungen der Gefäße aufweisen und ein erhöhtes Risiko für hohen Blutdruck haben. Die Forscherinnen und Forscher führten diese kardiovaskulären Veränderungen auf die Methoden der Kinderwunschbehandlung zurück.
In einer deutschen Untersuchung fanden die Forschenden keine vergleichbaren Ergebnisse. An dieser ICSI-Studie hatten Frauen teilgenommen, die zwischen 1998 und 2000 nach einer ICSI-Behandlung schwanger geworden waren. In der dritten Phase der Studie stand unter anderem die kardiovaskuläre Gesundheit der mittlerweile 15- bis 17-Jährigen Kinder im Mittelpunkt. Ein Ergebnis hier: Die Blutdruckwerte der untersuchten Kinder unterschieden sich nicht von denen der Vergleichsgruppe.
„Wir haben zunächst auch Unterschiede festgestellt, etwa beim Körpergewicht und dem Body-Mass-Index von Jungen nach einer künstlichen Befruchtung“, sagt Sonntag. „Die verschwanden aber, wenn wir elterliche Faktoren in die Auswertung einbezogen haben, wie etwa deren Körpergewicht oder deren Blutdruck.“ Einzig ein höherer Taillenumfang blieb auch nach der Berücksichtigung der elterlichen Faktoren bestehen. „Ob sich das einmal als Risikofaktor herausstellt, ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt offen.“
Grundsätzlich sei es schwer, von einzelnen kleinen Studien ein generelles Risiko abzuleiten, sagt Reproduktionsmediziner Markus Kupka. Er verweist in diesem Zusammenhang auf die schwierige Datenlage in Deutschland, weil die Paare nur bis zum Eintritt der Schwangerschaft in den Kinderwunschpraxen betreut würden und danach zum Gynäkologen wechselten. „Anders als in skandinavischen Ländern wird der Ausgang einer Kinderwunschbehandlung in Deutschland nicht durch ein spezielles Register erfasst“, sagt Kupka. „Es ist unglaublich schwer, nach der Geburt ein Feedback zur Gesundheit der Kinder zu erhalten.“ Kupka arbeitet in einer Hamburger Kinderwunschpraxis und ist unter anderem Vorstand des European IVF Monitoring Consortium (EIM) bei der europäischen Gesellschaft für Reproduktionsmedizin (European Society of Human Reproduction and Embryology, ESHRE).
Er verweist auch darauf, dass viele Menschen heute tendenziell später Kinder bekommen als früher – was eine Kinderwunschbehandlung oft überhaupt erst erforderlich mache. „Und es gibt Hinweise darauf, dass das höhere Alter der Eltern einen Einfluss hat auf die Kinder.“ Auch die mögliche Überprotektion der Wunschkinder – also die starke Fokussierung der Eltern auf den herbeigesehnten Nachwuchs – könne die kindliche Entwicklung beeinflussen. Soll heißen: Wenn es um die möglichen Folgen einer Kinderwunschbehandlung geht, spielt nicht nur die angewandte Technik eine Rolle.
Risiko für psychische Probleme oder Unfruchtbarkeit vermutlich nicht erhöht
Hinsichtlich der psychischen Entwicklung vermeldeten schwedische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler kürzlich ermutigende Ergebnisse: Sie hatten diese bei insgesamt 1,2 Millionen Kindern untersucht, die zwischen 1994 und 2006 geboren wurden, gut 31.500 davon nach einer IVF- oder ICSI-Behandlung. Sie fanden keine Hinweise auf ein erhöhtes Risiko für Depressionen oder Suizid. Zwar hatten die Kinder ein leicht erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer Zwangsstörung, aber auch hier verschwand der Unterschied, wenn das elterliche Risiko berücksichtigt wurde, berichten die Wissenschaftler im Fachmagazin „JAMA Psychiatry“.
Eine weitere Frage, die vor allem viele Eltern vor und nach einer Kinderwunschbehandlung beschäftigt, ist: Wird der Nachwuchs später selbst einmal Probleme haben, Kinder zu bekommen, weil sich die elterliche Unfruchtbarkeit womöglich weiterträgt? Studien geben bisher keine belastbaren Hinweise darauf. In der deutschen ICSI-Studie kamen die Forschenden zu dem Schluss, die Pubertätsentwicklung der nach ICSI geborenen Kinder sei „altersentsprechend und unauffällig“. Sie fanden bei Jungen zwar Unterschiede im Verhältnis der Hormone Testosteron und Östradiol. Mögliche Auswirkungen auf die Fruchtbarkeit ließen sich daraus aber nicht ableiten.
Louise Brown, das erste nach einer künstlichen Befruchtung geborene Kind, ist mittlerweile selbst Mutter. Ihre Kinder sollen auf natürlichem Weg gezeugt worden sein. Mediziner Kupka sieht es pragmatisch: „Wenn mich Paare danach fragen, antworte ich immer: „Selbst wenn es so ist – dann sitzt ihr Nachwuchs eben in 30 Jahren vor meinem Nachfolger.“
RND/dpa