Kunst aus der Dose: Wieso Graffiti längst mehr sind als illegale Schmierereien
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Dass Graffiti heute mehr sind als illegale Schmierereien, zeigt sich etwa im bulgarischen Dorf Staro Zhelezare: Es wird auch „Street Art Village“ genannt.
© Quelle: picture alliance / NurPhoto
Ob ein Faultier auf der Schlafzimmerwand, Palmenausblick im Restaurant oder eine Schildkröte, die eine Hausfassade ziert: Graffiti sind nicht nur unschöne Schmierereien und aufdringliche Tags, wie die Signaturkürzel der Sprayer heißen. Immer häufiger handelt es sich um Auftragskunst.
Seit Pandemieausbruch hat die Szene einen kleinen Boom erfahren. „Nach dem ersten Lockdown waren die Restaurants geschlossen. Viele haben Geld in Renovierungen gesteckt und wollten sich neu und schön präsentieren“, berichtet Graffitikünstler Lennart Lamoller. Auch privat seien viele Menschen auf die Idee gekommen, die eigenen vier Wände neu zu gestalten. „Das hat sich in den Anfragen bemerkbar gemacht.“
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Sprüht im Auftrag: Lennart Lamoller aus Hamburg lebt von flächendeckenden Kunstwerken auf Haus- und Zimmerwänden.
© Quelle: Spraybar
Der Hamburger besprüht seit 2014 professionell Hausfassaden, Innenwände und sogar Fahrzeuge. „Das hat letztendlich gar nicht mehr viel mit dem Illegalen gemeinsam, außer dass man die Sprühdose als Werkzeug nutzt“, sagt Lamoller. Früher habe er auch das ein oder andere Mal illegal gesprayt, gefesselt haben ihn diese Nacht- und Nebelaktionen jedoch nicht: „Für mich hatte es nie einen Reiz, im Dunkeln loszuziehen, schnell sein zu müssen und wegen der Lichtverhältnisse dann nicht richtig sehen zu können“, gesteht der 36-Jährige. „Ich wollte nur malen.“
Graffito ist nicht gleich Graffito: Die Qualität macht den Unterschied
In der Szene selbst seien die Motivationen unterschiedlich, weiß Lamoller. Die einen wollten nur schnell ihr Pseudonym verbreiten. Andere bemühten sich auch beim Besprühen eines Zuges, Qualität abzuliefern.
Erst habe er für kleines Geld ab und zu ein paar Garagentore gestaltet. Nach einigen Jahren im Ausland machte sich Lamoller mit seiner Sprühkunst schließlich selbstständig. Heute arbeitet er zusammen mit seinem Kollegen Marius Altmann deutschlandweit Aufträge ab. Die Kundschaft reiche von Privatleuten, die das Kinderzimmer umgestalten wollen, bis hin zu großen Firmen, die einen neuen Anstrich für Aufenthaltsräume oder Fassaden wünschen.
Meist werden bei Lamoller Landschafts- oder Tiermotive in Auftrag gegeben. Maik Hornburg ist einer seiner Kunden. Für die Hausfassade seiner Gebäudereinigungsfirma wollte er ein ausgefallenes Motiv: einen Gebäudereiniger, der ein Graffito mit einem Hochdruckreiniger beseitigt. „Das passt zur Firma“, sagt Hornburg. Gegen Schmierereien anzugehen gehört zum Geschäft, aber kunstvolle Graffiti weiß er zu schätzen: Schon als Kind und Jugendlicher war er Fan davon. Seitdem wollte er selbst so ein Wandbild haben.
Wieso Graffiti oft gesellschaftskritisch und politisch sind
Das italienische Wort Graffito stand ursprünglich für eine in Stein geritzte Zeichnung. So gesehen liegen die Ursprünge der Wandverzierung mit Zeichen und Bildern bereits in der Antike. Das meist illegale Besprühen einer öffentlichen Wand (im Szenejargon Hall genannt), häufig in Zusammenhang mit riskanten Kletter- oder Abseilaktionen, um „Fame“, also Ruhm zu ernten, hat seine Wurzeln jedoch in den 1970er Jahren innerhalb der US-amerikanischen Hip-Hop-Kultur. Durch Filme speziell über die New Yorker Szene kam die Kunst aus der Dose einige wenige Jahre später auch nach Europa. Zu den begehrtesten Halls zählte die Berliner Mauer: Während Sprayer im Westen diese als riesige Leinwand für politische Parolen nutzten, wurden Sprühmotive in der DDR sofort von der Staatssicherheit entfernt.
Graffiti sind zum Teil bis heute gesellschaftskritisch und politisch. Künstler wie der US-Amerikaner Keith Haring (1958–1990) oder der Brite Banksy haben mit ihren Kreationen immer wieder Statements gesetzt und international auf sich aufmerksam gemacht. Werke wie Harings Wandbild „Crack is wack“ auf einem Spielplatz im New Yorker Stadtteil Harlem oder Banksys Rattenmotive, mit denen er in einer Londoner U-Bahn für das Tragen von Masken zum Schutz vor Corona warb, sind legendär.
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Mit Graffitikunst weltberühmt: Der Brite Banksy hat das geschafft.
© Quelle: Marilla Sicilia/picture alliance
Experte: Legales Sprayen verhindert illegale Graffiti
Lamoller lebt zwar davon, Vorstellungen von Kunden umzusetzen, doch seine Kreativität sieht er dadurch nicht eingeschränkt. Im Fall von Maik Hornburgs Motiv stand dessen eigener Hochdruckreiniger Modell. Elf bis zwölf Stunden hat das Sprühen gedauert. Das ist nun fast sieben Jahre her. Hornburg ist immer noch begeistert. Für ihn ist Lamoller „ein echter Künstler“.
Dass Graffiti echte Street-Art sein können und Straßen und Plätze optisch aufwerten, ist auch für Städte und Gemeinden interessant. Anstatt gegen sie anzukämpfen, stellen Kommunen Sprayern mittlerweile legale Wände zur Verfügung – beispielsweise in Hannover. „Wir wollen eine Anerkennung dieser Kunstform herstellen und den Raum dafür geben, dass sie in der Stadt sichtbar wird“, sagt Bernd Jacobs, Sachgebietsleitung der Jungen Kultur der Stadt Hannover.
Dabei agiert die Stadt sogar als eine Art Kooperationspartner. Nicht nur an private Hauseigentümer werden professionelle Sprayer vermittelt, auch an die Deutsche Bahn. Ausgerechnet das Unternehmen, das sich in der Vergangenheit besonders oft mit bemalten Waggons herumplagen musste, hat Sprayer beauftragt, zwei Gleise am hannoverschen Hauptbahnhof zu verschönern. Die Bemalungen sollen nicht nur ein Blickfang sein: „Wenn Flächen professionell gestaltet werden, ist das auch ein Schutz vor illegalen Graffiti“, meint Jacobs. Es gilt als Kodex unter Sprayern, bereits bemalte Flächen nicht zu übersprühen.
Doch wer legal sprayen will, der muss auch ein paar offizielle Richtlinien beachten: Tabu sind Gebäude, die unter Denkmalschutz stehen. Bei größeren Motiven, die möglicherweise „in das Stadtbild eingreifen“, muss vorher eine Erlaubnis beim Bauamt eingeholt werden.