Nie wieder Hunger in China: Was der Staat dafür tut, dass alle genug zu essen haben

Die Firma Sinograin ist eine der zentralen Getreidespeicher­anlagen für die nationale Nahrungssicherheit Chinas.

Die Firma Sinograin ist eine der zentralen Getreidespeicher­anlagen für die nationale Nahrungssicherheit Chinas.

Jinan. Wer die Anlage von Sinograin im ostchinesischen Jinan besuchen möchte, wird auf keiner Landkarte fündig. Eine der zentralen Schaltstellen für Chinas Ernährungs­sicherheit liegt unscheinbar zwischen Apartment­siedlungen in der Provinzhauptstadt Shandongs versteckt. Wer von der Straße aus Fotos von den weißen Silos schießen möchte, in denen immerhin 340.000 Tonnen Getreide gelagert sein sollen, wird umgehend von uniformierten Sicherheitskräften umzingelt.

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Auch wenn der Journalisten­besuch Wochen im Voraus geplant worden ist, dauert es über eine halbe Stunde Überzeugungsarbeit, bis Sinograin seine Pforten zumindest ein Stück weit öffnet: Ein paar karge Ausstellungshallen dürfen die Besucher besichtigten, doch die Speicherkammern, in denen Hunderttausende Sensoren eine stete Raumtemperatur von minus 15 Grad sicherstellen sollen, bleiben für die Öffentlichkeit verschlossen.

Ältere Menschen in China kennen Hungersnöte

Ohne Frage ist Nahrungsmittel­sicherheit in China eine überaus sensible Angelegenheit. Denn schließlich muss das Land eine Bevölkerung von 1,4 Milliarden ernähren, immerhin knapp ein Fünftel aller Menschen weltweit. Vor allem aber kennen die meisten älteren Chinesinnen und Chinesen Hungersnöte und Mangelernährung nicht nur aus Lehrbüchern, sondern aus eigener Erfahrung.

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„Während der großen Hungersnöte kam es zu einer rasanten Inflation. Mit dem Geld konnte man plötzlich kaum mehr etwas kaufen“, sagt ein Chinese in seinen Mittfünfzigern, der die Erzählungen vor allen von seinen Eltern kennt: „Mao Tsetung hatte damals verboten, weiter für den Eigenbedarf auf dem Feld zu arbeiten.“

Tatsächlich ließ der Landesvater der Volksrepublik bei seinem „Großen Sprung nach vorn“ (1958–1961) sämtliche Landwirtschafts­betriebe zwangs­kollektivieren, Bauern zur Errichtung von Infrastruktur­projekten vom Feld abziehen und ihre Ausrüstung in Minihochöfen zu Stahl schmelzen. Das Ziel war die rasche Industrialisierung Chinas. Doch stattdessen führte das tragischste Kapitel in der Historie des Landes mit schätzungsweise bis zu 50 Millionen Toten zur größten Hungerkatastrophe der Menschheitsgeschichte.

Teil der Geschichte in der Schule ausgeblendet

In vielen Schulen, aber auch in den Staatsmedien wird diese nach wie vor nicht offen gelehrt: Auf Baidu Baike, dem chinesischen Pendant zu Wikipedia, wird das Thema mit zehn kurzen Paragrafen abgehandelt, in denen lediglich von einem „Rückschlag“ auf dem Weg zum Sozialismus die Rede ist, doch die Hungertoten vollständig verschwiegen werden. Auch in vielen Lehrbüchern wird die Katastrophe mit Unwettern und Missernten erklärt.

In den letzten Jahrzehnten ist die Volksrepublik in Windeseile zur zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt aufgestiegen. Doch die Nahrungsmittel­sicherheit ist nach wie vor ein zentrales Thema für die Staatsführung, die jährlich mehr als 100 Millionen Tonnen Getreide aus dem Ausland importiert.

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China verfügt zwar über 10 Prozent der globalen Ackerfläche, doch kommt damit auf die Bevölkerungsgröße hochgerechnet nur auf 50 Prozent des Weltdurchschnitts pro Kopf. Viele Landwirtschafts­flächen wurden in den letzten Jahren umgewidmet für Immobilien und Industriebauten, da diese höhere Profite abwerfen.

Corona-Pandemie und Lebensmittel­knappheit

Vor allem aber hat die Corona-Pandemie Sorgen um potenzielle Lebensmittel­knappheit neue Relevanz verliehen. Das Virus hat nicht nur globale Lieferketten unterbrochen, sondern innerhalb der Staatsführung auch den Willen zur Autarkie gestärkt. Zudem flammt seit 2019 regelmäßig die afrikanische Schweinepest auf. Und nicht zuletzt kommt es immer öfter zu Extremwettern im Land: 2020 wurde der Nordosten von Dürren heimgesucht, diesen Sommer hingegen in der zentral­chinesischen Provinz in Henan die stärksten Regenfälle seit Beginn der Wetter­aufzeichnungen gemessen.

„Die Flut kam zwar erst nach der diesjährigen Getreideernte, aber dennoch gab es negative Auswirkungen für die Landwirte“, sagt Professor Cao Yang von der Zhejiang-Universität für Land- und Forstwirtschaft.

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Eines der größten künftigen Probleme für die chinesischen Landwirtschaft ist die Abwanderung der jungen Bevölkerung in die Städte. „Das wird jedoch keine Probleme mit sich bringen. Denn dank des technologischen Fortschritts in China werden wir in der Landwirtschaft eben stärker von der Technologie denn von menschlicher Arbeitskraft abhängen“, sagt Experte Cao.

Kampagne gegen Verschwendung von Lebensmitteln

Dennoch hat Staatschef Xi Jinping im letzten Sommer eine flächendeckende Kampagne gestartet, um der Bevölkerung ihren verschwenderischen Umgang mit Lebensmitteln auszureden. Noch vor wenigen Jahren gehörte es bei Geschäftsessen und Familientreffen zum guten Ton, als Gastgeberin oder Gastgeber stets ein Vielfaches dessen aufzutischen, was die Mägen tatsächlich verdauen können.

Nun werden Restaurantgäste dazu angehalten, weniger Gerichte zu bestellen. Arbeiterinnen und Arbeiter in vielen Firmen müssen gar Strafen zahlen, wenn sie ihre Kantinen­portionen nicht vollständig aufessen. Zudem wurden sämtliche Livestreamer, die sich auf Onlineplattformen beim Essen „exzessiver“ Portionen filmen, aus dem Netz verbannt.

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„Fördern Sie ein soziales Umfeld, in dem Verschwendung beschämend und Sparsamkeit lobenswert ist“, lautete die von Xi ausgegebene Direktive.

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