Perfekt in Karriere und Familie? Der Mythos der Supermama
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Das Bild der perfekten Supermama erzeugt der Erziehungswissenschaftlerin Professor Margrit Stamm zufolge enormen Druck.
© Quelle: StockSnap/ Pixabay
Frauen stehen heute unter besonderem Druck: Sie sollen die perfekte Mutter und Partnerin sein und dabei ihren eigenen Karriereweg nicht vernachlässigen. Die eigenen Bedürfnisse dürfen dabei gerne hinten angestellt werden. Margrit Stamm beschreibt in ihrem Buch “Du musst nicht perfekt sein, Mama” die gefährlichen Folgen des Supermamamythos.
Erwartungen an werdende Mütter sind überzogen
Können Sie einmal erklären, was den Mythos der Supermama ausmacht?
Margrit Stamm: Es geht um die Glorifizierung der Mutterschaft. Eine Frau ist erst “komplett”, wenn sie Mutter geworden ist. Schon bei jungen Mädchen sind deshalb eigene Kinder ein erklärtes Ziel. Das liegt auch an der großen Bedeutung der Mutterschaft in unserer Gesellschaft. Eng verknüpft ist damit ein Mutterideal nahe der Perfektion. Eine Mutter darf heute nicht mehr entspannt Mutter sein, sie muss perfekt sein. Sie muss eine tiefe Verbindung zu ihrem Kind haben, trotz Berufstätigkeit möglichst viel Zeit in die Familie investieren – gerne bis zur Selbstaufgabe. Diese extremen Erwartungen haben deutlich zugenommen – gerade im Vergleich zu den 1980er- oder 1990er-Jahren.
Im ersten Moment könnte man eine wachsende Aufmerksamkeit für Mütter positiv sehen.
Mutterwerden ist etwas Unbeschreibliches, ohne Frage. Kritisch sind aber die völlig überzogenen Erwartungen an die Frauen. Das Bild der perfekten Supermama erzeugt enormen Druck. Die Mütter von heute müssen ihre Kinder immer lieben, immer für sie da sein, die eigenen Bedürfnisse für die Familie zurückstellen, immer gute Laune haben, dürfen trotzdem nie müde sein oder gar die Nerven verlieren, sie sollen die wichtigste Bezugsperson sein und das Kind schon früh fördern. All diese Normen kann doch aber niemand erfüllen. Das ist einfach nicht möglich – selbst, wenn die Frau ihren Beruf ganz aufgibt und sich als Hausfrau “nur” den Kindern widmet.
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Die aktuellen Forschungsschwerpunkte der Erziehungswissenschaftlerin Margrit Stamm sind die frühkindliche Bildungsforschung, Talententwicklung und Bildungslaufbahnen vom Vorschulalter bis zum späten Erwachsenenalter, sowie Berufsbildungsforschung und Migration.
© Quelle: Andreas Muhmenthaler
Der Leistungsdruck ist erst in den letzten Jahren stark gewachsen
Warum erlebt das Bild der Supermama gerade jetzt einen solchen Zulauf?
Als ich in den frühen 90er-Jahren Mutter wurde, waren die Rollen eher traditionell verteilt. Von einer Frau erwartete man, dass sie zu Hause bleibt, den Haushalt macht, die Kinder versorgt und dem Ehemann so den Rücken freihält für die eigene Karriere. Der extreme Leistungsdruck war aber damals noch nicht da. Der kam erstaunlicherweise erst mit der wachsenden Emanzipation der Frauen. Heute können Mädchen theoretisch alles werden – von der Vorstandsvorsitzenden bis zur Astronautin. Das ist ein großer Fortschritt, ganz im Gegensatz zu unserem Mütterbild. Eine mögliche Erklärung dafür ist der Neoliberalismus als politische Strömung, die jedem von uns mehr Verantwortung übergibt. Wir sagen den Frauen heute: „Ihr könnt alles erreichen, aber bitte bleibt dabei die perfekte Mutter. Darin liegt schließlich eure natürliche Bestimmung.“ Das ist doch paradox.
Was bedeutet der Müttermythos für die Väter?
Ach, die können sich zurücklehnen. (lacht) Bei den meisten Eltern übernehmen Frauen immer noch die meiste Familienverantwortung und die Männer haben immer noch die Rolle des befehlsausführenden Helfers. Für viele Männer ist das ziemlich bequem. Kritischer kann es aber werden, wenn der Vater doch ein aktiver Partner sein will. Denn das überhöhte Mutterideal steht einer gleichberechtigten Eltern- und Partnerschaft im Weg. So setzen die Frauen oft die Standards der Elternschaft und die Väter müssen ihnen folgen, ohne selbst Spielraum zu erhalten. Es bedarf viel Kommunikation und Zugeständnisse, um diese Rollenbilder zu überwinden. Die Frauen müssen lernen, mehr Verantwortung abzugeben, und die Väter können mit mehr Engagement in Sachen Carearbeit ihren Partnerinnen Last von den Schultern nehmen.
Wachsender Druck von außen führt zu Konkurrenzkampf
Welche Rollen spielen Soziale Medien für den Muttermythos? Immerhin sehen wir dort eine Renaissance konservativer Werte wie die Qualitäten als Hausfrau oder Köchin.
Die sozialen Medien erzeugen einen immensen Druck. Viele Influencerinnen zeigen sich schon wenige Wochen nach der Geburt toptrainiert. Die Kinder sind alle super angezogen, nie dreckig oder schlecht gelaunt. Es wird nur gesund gegessen und es gibt nur aufgeräumte Zimmer und coole Möbel. Ihr Mutterglück machen sie so für alle greifbar. Geldsorgen gibt es nicht. Damit befeuern sie das Bild der Lebenserfüllung Mutterschaft. Sich davon freizumachen und all das zu hinterfragen wird so noch schwieriger, als es ohnehin schon ist. Aktuelle Studien zeigen immer wieder, wie schlecht es Frauen zwischen 30 und 40 Jahren psychisch geht. Aus meiner Sicht liegt das auch daran, dass sie dem wachsenden Druck von außen kaum noch entkommen können.
Welche Rolle spielt die Konkurrenz unter den Müttern? Statt sich gemeinsam gegen den gesellschaftlichen Druck und überholte Rollenbilder zu stellen, herrscht in Mütterforen und auf Spielplätzen ein Wettbieten in Sachen Wunderkind und pädagogischen Weisheiten.
Da haben Sie leider recht. Der Konkurrenzkampf zeigt sich besonders bei den eigenen Kindern. Sie sind heute so etwas wie unser Aushängeschild, Teil unserer Identität, unser Zeugnis als gute Mutter. Wenn das eigene Kind mit vier Jahren schon erste Buchstaben schreibt oder besonders gut Ballett tanzt, dann ist es das Verdienst als Mutter. Diese Haltung beobachten wir übrigens nicht nur bei Hausfrauen, sondern auch bei berufstätigen Frauen, die mit ihren “wohlgeratenen” Kindern die eigene Berufstätigkeit legitimieren. Die Botschaft nach außen: Ich bin zwar in Teil- oder Vollzeit berufstätig, trotzdem kann ich eine vollwertige und perfekte Mutter sein.
Die moderne Mutter darf auch mal Fehler machen
Wie können Mütter diesen Teufelskreis durchbrechen und sich von allen überzogenen Erwartungen freimachen?
Das ist schwer. Ich glaube, die Selbsttherapie und das Lossagen von den gesellschaftlichen Idealen sind nur ein Teil der Lösung. Wir müssen als Gesellschaft unsere Erwartungen an die Frauen überdenken. Die sind nämlich ziemlich paradox: Die moderne Frau soll Karriere, Kinder und Partnerschaft gleichermaßen verfolgen und das ist quasi unmöglich. Deshalb ist es wichtig, mehr Entscheidungspositionen in der Gesellschaft besser und diverser zu besetzen. So entsteht mehr Akzeptanz für unterschiedliche Lebensmodelle. Gleiches gilt natürlich auch für Unternehmen. Sie sollten in Vollzeit arbeitende Eltern genauso unterstützen wie Eltern in Teilzeit. Aber natürlich wäre es auch wichtig, wenn Frauen offensiver und selbstbewusster darüber nachdenken, was ihnen guttut und was sie brauchen – auch wenn das manchmal nicht mit dem gesellschaftlichen Mainstream übereinstimmt. Hilfreich kann es sein, sich Gleichgesinnte zu suchen – also Frauen und Paare, die ähnliche Modelle leben wie ich. Damit streifen wir einen Exotenstatus ab und es fällt leichter, seinen Weg zu gehen.
Zum Abschluss würde mich interessieren, wie aus Ihrer Sicht ein zeitgemäßes Mutterbild aussehen könnte.
Ein zeitgemäßes Mutterbild spricht nicht von der perfekten oder guten Mutter, sondern von der hinreichend guten Mutter. Sie darf Fehler machen, muss eben nicht immer perfekt sein, sie darf die eigenen Bedürfnisse befriedigen, sie darf sich selbst gerne haben und nach Autonomie von Mann und Kindern streben. Und dazu müsste es auch ein neues Vaterbild geben. Engagierte Väter verbringen nicht nur mehr Zeit mit dem Nachwuchs, sondern übernehmen eben auch die “undankbare” Hausarbeit und zwar selbstständig und nicht nur auf Geheiß der Partnerin. So hätten beide Partner wieder mehr Zeit und Raum – nicht nur zwangsläufig für die Kinder, sondern eben auch für die eigenen Bedürfnisse und die Partnerschaft. Die sollte nämlich auch nicht vernachlässigt werden.
Über Margrit Stamm: Margrit Stamm war bis 2012 Ordentliche Professorin für Erziehungswissenschaft mit Schwerpunkt Sozialisation und Humanentwicklung an der Universität Fribourg. Seit Oktober 2012 ist sie Direktorin des Forschungsinstituts Swiss Education mit Sitz in Aarau. Sie ist zudem Gründerin des Universitären Zentrums für frühkindliche Bildung Fribourg ZeFF. Ihre aktuellen Forschungsschwerpunkte sind die frühkindliche Bildungsforschung; Talententwicklung und Bildungslaufbahnen vom Vorschulalter bis zum späten Erwachsenenalter, sowie Berufsbildungsforschung und Migration. Margrit Stamm ist verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder.
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Das Buch “Du musst nicht perfekt sein, Mama! Schluss mit dem Supermama-Mythos – Wie wir uns von überhöhten Ansprüchen befreien” erscheint ab sofort im Piper-Verlag.
© Quelle: Piper Verlag
Margrit Stamm: Du musst nicht perfekt sein, Mama! Schluss mit dem Supermama-Mythos – Wie wir uns von überhöhten Ansprüchen befreien. Piper. 18 Euro. ISBN: 978-3-492-07026-3
RND