Privatsphäre: Darum dürfen Eltern den Kindern nicht grundlos hinterherschnüffeln
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Was machst du denn da? Das Smartphone ist oft Auslöser für den ersten Eltern-Kinder-Streit rund um das Thema Privatsphäre.
© Quelle: Florian Schuh/dpa-tmn
Berlin/Solingen. “Wo seid ihr denn gerade?” “Du, ich hab da in deinem Zimmer was gesehen...” “Wer ist denn dieser Max, mit dem du gerade so viel chattest?” Für viele Eltern sind das ganz normale Fragen – und für manche Kinder und Jugendliche ist das eine Form der Schnüffelei, die gar nicht geht. Und damit hat der Nachwuchs recht.
"Kinder brauchen ihre Privatsphäre, weil es gut ist, wenn sie irgendwann eigene Dinge machen und wenn Eltern loslassen können", sagt Ulric Ritzer-Sachs, Sozialpädagoge bei der Online-Beratung der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung. Deshalb steht die kindliche Privatsphäre sogar im Gesetzbuch.
Grundgesetz und Kinderrechtskonvention: Kinder haben Recht auf Privatsphäre
"Kinder sind von Anfang an Rechtssubjekte und haben damit Grundrechte, unter anderem das Recht auf Privatsphäre", erklärt Juliane Hilbricht, Fachanwältin für Familienrecht und Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Familienrecht im Deutschen Anwaltverein (DAV). Außerdem gibt es noch die UN-Kinderrechtskonvention: Deren Artikel 16 schützt unter anderem vor willkürlichen Eingriffen in das Privatleben und den Schriftverkehr.
Gleichzeitig haben Eltern aber ebenfalls Rechte. "Grundsätzlich ist es so, dass Kinder ein Grundrecht auf Entfaltung ihrer Persönlichkeit haben, und Eltern ein Recht auf Erziehung – und im Streitfall müssen diese Grundrechte gegeneinander abgewogen werden", erklärt Linda Zaiane vom Deutschen Kinderhilfswerk (DKHW).
Keine Schnüffelei ohne Grund: Eltern dürfen Privatsphäre nur bei Sorge um Kindeswohl verletzen
Das bedeutet konkret: Erst einmal genießt das Kind Privatsphäre, Eltern dürfen diese aber verletzen, wenn sie sich Sorgen um das Kindeswohl machen. "Klar ist: Reine Schnüffelei ohne Anlass ist nicht erlaubt", sagt Hilbricht. "Wenn das Kind sich aber zum Beispiel ritzt oder gar suizidales Verhalten zeigt, muss ich etwas tun."
Was ist, wenn Eltern diese Kompetenzen überschreiten – können Kinder dann klagen? Theoretisch schon, sagt Anwältin Hilbricht. “In der Praxis gibt es aber keine solchen Verfahren und auch kaum Urteile zu dem Thema.” Es gab und gibt aber Prozesse, die das Thema zumindest am Rand streifen – und die gehen oft eher zugunsten der Eltern aus, wie Linda Zaiane erklärt: “Die Kinderrechtskonvention wird von Gerichten zu oft nicht berücksichtigt, nicht nur in Fragen der Privatsphäre.”
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Mitleser unerwünscht: Wenn Kinder ihre Geheimnisse nicht mit den Eltern teilen wollen, müssen und sollten die das respektieren.
© Quelle: Florian Schuh/dpa-tmn
Das erste Smartphone sorgt oft für Streit
Klagen aus dem Kinderzimmer müssen Eltern also eher nicht fürchten – munter drauflosschnüffeln sollten sie aber trotzdem nicht. Zumindest nicht bei größeren Kindern, denn wie so vieles ist auch die kindliche Privatsphäre eine Altersfrage.
Wobei das Thema keinesfalls erst in der Pubertät akut wird. "Kinder haben schon sehr früh eine sehr klare Vorstellung davon, was sie als privat empfinden – und Eltern verletzen das oft unabsichtlich, wenn sie zum Beispiel Fotos bei Facebook oder Whatsapp posten", sagt Sophie Pohle vom Deutschen Kinderhilfswerk.
Richtig los geht es aber tatsächlich oft erst im Grundschulalter oder kurz danach - nämlich dann, wenn Kinder ihr erstes eigenes Smartphone haben. "Spätestens dann sind Kinder öfter auch fernab der elterlichen Augen online", sagt Pohle. "Gleichzeitig machen sich Eltern Sorgen, die ja zumindest teilweise auch berechtigt sind."
Begleiten und kontrollieren – aber nicht spionieren
Was also tun? Kinder einfach surfen lassen, weil die Privatsphäre ja vorgeht? Nein, sagt Ulric Ritzer-Sachs: “Eltern müssen ihre Kinder natürlich begleiten. In dem Alter, in dem die meisten Kinder ein Smartphone bekommen, sind sie davon noch überfordert.” Eltern sollten also mit ihren Kindern Regeln vereinbaren, wie Smartphone und Co. genutzt werden – und dürfen sich dann auch davon überzeugen, dass diese eingehalten werden.
"Bei einem Zehn- oder Elfjährigen kann es dann schon sein, dass man zum Beispiel verbietet den Browserverlauf zu löschen und den dann gemeinsam anschaut", sagt Ritzer-Sachs. Er rät Eltern außerdem, sich zum Beispiel die aktuellen Lieblingsvideos der Kinder aus dem Netz zeigen zu lassen. "Das hat auch den positiven Nebeneffekt, dass ich was aus der Lebenswelt der Kinder mitbekomme."
Kinderschutz-Apps sinnvoll – aber nur, wenn Kind davon weiß
Kinderschutz-Apps und andere technische Möglichkeiten können in solchen Fällen ebenfalls sinnvoll sein. Allerdings nur dann, wenn das Kind davon weiß und nicht heimlich ausspioniert wird – eine Funktion, die manche der Apps durchaus anbieten. “Technische Hilfsmittel ersetzen jedoch nicht die erzieherische Aufgabe der Eltern und das Gespräch mit dem Kind über die Mediennutzung”, sagt Sophie Pohle.
Und natürlich gilt: Irgendwann muss Schluss sein mit der Überwachung. "Bei älteren Kindern muss man dann auch sagen können "So, jetzt bist du reif genug", und ihnen die Smartphone-Nutzung komplett überlassen", sagt Ritzer-Sachs.
Kinder dürfen eigene Regeln aufstellen
Dieses Grundprinzip der Privatsphäre lässt sich auch auf andere, analogere Lebensbereiche übertragen – egal ob Tagebuch oder Kinderzimmer. Denn das Recht auf Privatsphäre umfasst das Recht auf eigene vier Wände, inklusive geschlossener Tür. Das gilt auch in Familien, die sonst eine Kultur der offenen Tür pflegen. Kinder dürfen davon abweichen, sagt Ritzer-Sachs: “Das heißt ja nicht gleich, dass sie hinter der geschlossenen Tür was Verbotenes machen.”
Sich über diese Grundsätze hinwegzusetzen, hält Ritzer-Sachs nur im Notfall für vertretbar: “Es gibt Grenzfälle, wo Eltern die Privatsphäre des Kindes verletzen müssen – aber selbst dann sollte das nie hinter dem Rücken des Kindes passieren.” Denn das sei eine schwerwiegende Verletzung des Respekt- und Vertrauensverhältnisses zwischen Eltern und Kinder, wie auch Sophie Pohle erklärt: “Eine respekt- und vertrauensvolles Verhältnis ist aber Grundvoraussetzung für gute Medienerziehung.”
Ständige Überwachung hemmt Entwicklung
Ritzer-Sachs geht sogar einen Schritt weiter: “Wenn Kinder sich ständig überwacht fühlen, haben sie irgendwann das Gefühl, dass die Eltern ihnen nicht mehr vertrauen.” Ein Argument wie “Ich will dich nur schützen!” stoße da irgendwann auf taube Ohren. Stattdessen dominiere beim Kind das Gefühl, dass mit ihm etwas nicht stimmt – schließlich vertrauen die Eltern ihm ja nicht.
Aus dem gleichen Grund hält der Experte andere Methoden der elterlichen Kontrolle sogar für ganz falsch, das Tracking auf dem Schulweg zum Beispiel - selbst dann, wenn das Kind davon weiß. "Kinder brauchen auch das Recht, Fehler zu machen, mal zu schummeln oder Mist zu machen", sagt er. Das gehöre zum Erwachsenwerden dazu. "Ich würde mir viel eher Sorgen machen, wenn ein Kind nie den Schulweg verlässt."
RND/dpa