Psychologin Patricia Cammarata: Warum Frauen in Job und Privatleben häufig die Mehrarbeit haben
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Eine klassische Rollenverteilung kommt nicht nur in der Küche häufig vor.
© Quelle: imago stock&people
Im Interview mit dem RND geht Patricia Cammarata dem Problem des Mental Load auf den Grund. Das ist sozusagen die Arbeit im Hintergrund, die nach wie vor mehr Frauen als Männer betrifft, sei es beruflich oder privat.
Seit ein paar Jahren streiten vor allem junge Eltern um das Thema Mental Load. Worum geht es dabei genau?
In der Wirtschaft ist der Begriff geläufiger als Projektmanagement. Und im Privaten meint es, dass es nicht nur sichtbare To-dos gibt, die sich moderne Paare mittlerweile ganz gut aufteilen, sondern dass im Hintergrund jemand alle Fäden zusammenhält. Jemand, der erinnert, mitdenkt und plant. Und diese Aufgabe hängt zum allergrößten Teil immer noch an den Frauen.
Wie ein Eisberg an der Oberfläche
Was heißt das konkret?
Wenn man eben über Aufgabenverteilung zwischen Mann und Frau spricht, sagt der Mann oft: Ich mache doch den Wocheneinkauf! Das stimmt, der Wocheneinkauf ist das sichtbare To-do. Aber dahinter steckt ganz viel Mental Load, nämlich Fragen wie: Was haben wir letzte Woche gekocht? Was wollen wir nächste Woche kochen? Gibt es Dinge, die aufgebraucht werden müssen? Wie ist das mit Gemüse und Obst? Wir wollen die Kinder ja auch gesund ernähren. Das sind alles Vorüberlegungen, die wie bei einem Eisberg unter der Oberfläche liegen und die man nicht sieht. Das Abarbeiten der Einkaufsliste ist also nur die Spitze des Eisbergs.
Jetzt sagen Sie: Wir müssen auch im Arbeitskontext Mental Load in den Blick nehmen. Warum?
Für den Arbeitskontext gibt es zwei Aspekte. Zum einen werden auch hier diese unsichtbaren Arbeiten zum größten Teil von Frauen übernommen. Klassischerweise sind das solche Sachen wie: Wer bereitet Meetings vor? Wer schreibt das Protokoll? Wer besorgt die Geschenke für den Geburtstag? Und wer kümmert sich darum, dass der gammelige Waschlappen in der Küche ausgetauscht wird? Das sind alles Aufgaben, die total wichtig sind für das Miteinander im Team und auch für das Erzielen von guten Arbeitsergebnissen. Aber sie werden zum großen Teil von Frauen erledigt.
Und der andere Aspekt?
Da geht es darum, dass der Mental Load im Privaten die Ressourcen der Frauen so sehr bindet, dass sie sich bei der Arbeit nicht genauso einbringen können wie Männer. Das fängt schon bei der Arbeitszeit an, dass sich Frauen eher für eine Teilzeit- als für eine Vollzeitstelle entscheiden. Oder dass sie sich keine Führungsposition zutrauen, weil sie im Privaten schon so viel Verantwortung haben. Im Beruf gibt es dann eine Entscheidungsmüdigkeit. Einige Frauen wollen dann nur ihr Geld verdienen und etwas machen, das sie gut bewältigen können.
Viele arbeiten aktuell im Homeoffice. Wie wirkt sich das auf Mental Load aus?
Für viele Frauen ist die Last eher noch angewachsen. Wenn der glückliche Zufall eintritt, dass beide Partner im Homeoffice arbeiten können, dann kann das den Effekt haben, dass dem Mann einmal klar wird, was im Hintergrund normalerweise alles läuft. Durch diese Sichtbarkeit steigt dann auch die Beteiligung. Aber dieser Gender-Care-Gap bleibt einfach vorhanden. Wenn nicht beide Homeoffice machen können, ist die Lösung bei vielen so, dass die Frau, die ohnehin schon weniger erwerbsarbeitet, da auch noch zurücktritt und noch mehr Sorgearbeit oder eben auch das Homeschooling übernimmt.
Patricia Cammarata ist Psychologin, Autorin und Bloggerin. Zuletzt erschien ihr Buch „Raus aus der Mental-Load-Falle“ im Beltz-Verlag.
© Quelle: Marcus Richter
Was genau bedeutet der Gender-Care-Gap?
Da wird gemessen, wie hoch im privaten Bereich das Engagement, also die Sorgearbeit, in Stunden ist. Es gibt über alle Familienkonstellationen hinweg ein großes Ungleichgewicht – Frauen machen im Schnitt 52 Prozent mehr. Katastrophal hoch ist es bei Frauen, die 34 Jahre alt sind und Kinder haben: Die machen unabhängig von der eigenen Erwerbstätigkeit 111 Prozent mehr.
Gibt es auch derlei Zahlen oder Erhebungen für den Jobbereich?
Was diese unsichtbaren Arbeiten in der Erwerbsarbeit angeht, da liegen mir überhaupt keine Zahlen vor. Ich glaube, da ist das Thema sehr neu.
„Frauen haben eben gelernt: Kümmern liegt uns im Blut“
Sie sprechen von sichtbaren und unsichtbaren Arbeiten. Ist es das, worum es im ersten Schritt geht: sichtbar zu machen, was im Job alles auch unterm Radar läuft?
Absolut! Sichtbarkeit hat ja etwas mit Wertschätzung zu tun. Deswegen ist es hilfreich, dass man realistisch ausrechnet, was da eigentlich geleistet wird. Genau dafür haben wir bei der Initiative Equal Care Day einen Fragebogen entwickelt, um Mental Load in der Arbeitswelt zu erfassen. Und wenn man die Bezahlung anguckt, ist es besonders frustrierend, denn man macht mehr und kriegt im Schnitt weniger. Ich glaube, dass das eine gute Grundlage ist, so etwas im Team zu diskutieren.
Das ist ja meist gar keine Böswilligkeit. Der Kollege guckt nicht extra weg, sondern wir sind alle von unseren Rollenerwartungen beeinflusst und Frauen haben eben gelernt: Kümmern liegt uns im Blut. Wir machen das doch gern, wir haben so eine schöne Schrift, da ist es doch klar, dass wir das Protokoll schreiben. Da werden wir alle unbewusst beeinflusst – Männer wie Frauen. Wenn man es sichtbar macht, hat man aber etwas zu besprechen, zu verhandeln und neu zu verteilen.
Es ist also das Rollenideal, dass ich als Frau eher den Lappen in der Küche austausche als der Mann?
Genau. Das beeinflusst Mädchen und Jungen ganz früh. Schon kleinen Jungs wird verwehrt, dass sie mit Puppen spielen. Babypuppen, die sprechen können, sagen zu 99 Prozent „Mama“ und nicht „Papa“. Das macht natürlich etwas mit spielenden Kindern und mit dem, was sie erwarten. So lernen wir unbewusst: Wenn man eine Familie gründet, spezialisiert man sich auf Erwerbs- und Sorgeperson. Es wird nicht bewusst verhandelt. Wir lassen uns von diesen Rollen leiten. Gerade in Situationen, wo vieles neu und unbekannt ist, wie die Geburt des ersten Kindes. Man hinterfragt es nicht. Man glaubt, man macht das für den ersten Moment, aber dann bleibt es plötzlich fünf, sieben, zehn Jahre.
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Patricia Cammarata – Raus aus der Mental-Load-Falle
© Quelle: Beltz
Wenn die Frau jetzt ihr Kümmern im Job sichtbar macht, wird dann nicht die Argumentation sein, dass Projektverantwortung am Ende eben mehr Ertrag bringt als das Austauschen des Spüllappens?
Es wäre wichtig, dem Kümmern mehr Wert beizumessen. Man glaubt ja immer, dass das so eine verzichtbare Sache ist. Aber wenn man das im größeren Kontext sieht: Ohne Care-Arbeit gibt es keine Erwerbsarbeit. Oder es gibt eben keine Familien mehr und keine Menschen, die krank werden können. Natürlich kann man auf bestimmte Dinge verzichten und prüfen, wie das ist, wenn es mal kein Geburtstagsgeschenk gibt.
Aber das hat eben seinen Preis, nämlich dass man irgendwann nur noch Dienst nach Plan macht und eigentlich nicht mehr gern arbeiten geht, weil sich eben niemand um die Stimmung im Team und die schönen Dinge der Arbeit kümmert. Dabei sollte uns klar sein, wie viel Lebenszeit wir mit Arbeit verbringen.
Viele Frauen hemmt vielleicht auch die Sorge, dass so eine Sichtbarmachen eher belächelt wird von den Kollegen.
Ich würde immer optimistisch davon ausgehen, wie bei Paarbeziehungen übrigens auch, dass alle ein Interesse an guter Stimmung und guten Arbeitsergebnissen haben. Man ist es nur gewohnt, dass sich jemand anderes kümmert, und das nimmt man eben gern an. Ich würde versuchen, mit Wohlwollen die Dinge anzusprechen und dann gemeinsam zu schauen: Lässt man wirklich Sachen weg oder findet man ganz pragmatische Lösungen dafür, dass sich nicht immer nur eine Person kümmert. Ganz ehrlich: Das ist ja keine Rocket-Science.
Patricia Cammarata, „Raus aus der Mental-Load-Falle“, 224 Seiten, Beltz, 17,95 Euro