Schlaues Grünzeug: So intelligent sind Pflanzen
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Auch unter Pflanzen gibt es Hochbegabte und Bräsige, Kommunikative und Verspielte.
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Hannover. Pflanzen sind bemitleidenswerte Wesen: Zu keiner Regung fähig, müssen sie über sich ergehen lassen, was immer die Umwelt mit ihnen vorhat. Rasen und Hecken sind zu regelmäßiger Rasur gezwungen, Weizen sprießt allein, um bald darauf geköpft zu werden – und nicht einmal die einfühlsamsten Veganer haben Mitleid mit ihnen.
Denn Pflanzen haben weder Hirn noch Herz. Sie spüren keinen Schmerz, sind einfach da. Schön, aber passiv. Schon Aristoteles degradierte Pflanzen daher zur niedersten Form des Lebens. Immer mehr Forscher wollen den Ruf des Grünzeugs als strohdumm nicht länger gelten lassen. Sie behaupten: Pflanzen sind intelligent. Zwar taugen sie nicht zum Eckenrechnen, zum aktiven Anpassen an die Umwelt jedoch sehr wohl. Das zeigen sechs beeindruckende Beispiele.
Dabei gilt jedoch: Auch unter Pflanzen gibt es Hochbegabte und Bräsige. Farn und Mammutbaum beispielsweise liegen genetisch so weit auseinander wie Schnecke und Mensch. Niemand käme auf die Idee, die beiden miteinander zu vergleichen. Um also fair zu sein: Man darf nicht alle der folgenden Pflanzen über einen Kamm scheren.
Lernende Mimosen
Mimosen sind die Angsthasen des Pflanzenreichs: Wahrscheinlich um Fressfeinde abzuschrecken, klappen sie bei der kleinsten Berührung ihre fedrigen Blätter ein. An Mimosen nun untersucht Katja Tielbörger von der Universität Tübingen, ob Pflanzen lernen können.
Dazu testeten sie und ihr Team eine Dressur wie bei Hunden: Stets bevor die Forscher die Mimose mit einem hölzernen Stäbchen attackierten, gaben sie ein blaues Lichtsignal. Schon nach drei Versuchen zuckte die Pflanze bereits beim Aufflackern des Lichts zusammen. Wieder drei Tage später regte sich die Mimose trotz Lichts gar nicht mehr. Wohl, weil sie gelernt hatte, dass sie den Holzstab nicht wirklich fürchten muss.
Noch aufschlussreicher war ein Experiment, bei dem die Forscher Mimosen auf Lichtdiät setzten. Die Pflanze musste im Dunkeln verharren und bekam stets nur zehn Minuten Licht. Das braucht sie, um Photosynthese zu betreiben. Nicht lange, da klappte die lernbereite Mimose ihre Blätter bei Dunkelheit nicht mehr zusammen, um das Licht, wenn es denn kam, besser auskosten zu können.
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Ängstlich, aber auch lernfähig: Die Mimose.
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Tabak mit Parfümerie
Der wilde Tabak blüht in der Nacht, wenn die üblichen Bestäuber schon Feierabend haben. Um trotzdem zu überleben, lockt der Tabak mit einem Geruch die für ihn zuständigen Tabakschwärmer. Sie sichern sein Überleben, gleichzeitig jedoch bedeuten sie seinen Tod. Denn im Gegenzug für ihre Hilfe legen die Nachtfalter Eier auf dem Tabak ab, aus denen gefräßige Raupen wachsen.
Der Tabak weiß sich jedoch zu wehren. Sobald nämlich eine Raupe den Tabak anzuknabbern beginnt, erkennt dieser den Schädling an seinem Speichel und wechselt den Duft. Mit dem neuen Odeur nun lockt der Tabak Wanzen an, die die Raupen fressen.
Herausgefunden hat das Ian Baldwin, Leiter des Max-Planck-Instituts für chemische Ökologie in Jena. Über Jahre forschte er am Tabak und stellte fest, dass jede Douglas-Filiale gegen den Tabak abstinkt: 144 Düfte hat der Tabak laut Baldwin auf Lager – und wählt in jeder Situation den für ihn passenden. Mindestens 32 Insektenarten kann der Tabak am Speichel erkennen und bekämpfen, indem er mit einem Duftcocktail Fressfeinde anlockt.
Mozart liebende Trauben
Arbeiten im Haushalt bereitet wenig Freude. Mit Musik auf den Ohren wäscht, spült und putzt es sich besser. Sie kennen das. Gleiches gilt womöglich auch für Pflanzen. In der Toskana bezirzt Weinbauer Giancarlo Cignozzi einen Weinberg seit über zehn Jahren mit klassischer Musik. Mozart, Tschaikowsky, Haydn, Händel. Das Ergebnis: Die Blätter der beschallten Pflanzen sind kräftiger, ihre Trauben aromatischer.
Können Pflanzen also hören? Der italienische Forscher Stefano Mancuso glaubt daran. Er ist einer der erbittertsten Kämpfer in der Schlacht um die Anerkennung von Pflanzen als intelligenten Wesen. Entsprechend provokant nannte er sein Forschungsinstitut: Internationales Laboratorium für Pflanzen-Neurobiologie.
Eine Provokation ist das, wenn auch keine ganz unbegründete. Denn Beweise beispielsweise für pflanzliches Hörvermögen finden sich auch unter der Erde. Das zeigt ein Experiment Mancusos: Er stellte einen Lautsprecher neben Jungpflanzen, der durchgehend Geräusche von Fließwasser von sich gab. Obwohl an dieser Stelle nicht tatsächlich Wasser floss, wuchsen die Wurzeln in diese Richtung.
Dass Wurzeln deutlich feinfühliger sind als bisher angenommen, zeigen auch Studien des Bonner Botanikers Frantisek Baluska am Beispiel Mais: Ihm zufolge können Wurzeln binnen weniger Sekunden ihre Wuchsrichtung wechseln, sobald sie im Boden beispielsweise auf Gift stoßen.
Kommunikatives Kraut
Pflanzen sind, wenn sie nicht luxuriös im eigenen Topf hausen, entweder umringt von Kollegen gleicher Gattung oder von Konkurrenten, mit denen sie um Wasser, Nährstoffe und Licht wetteifern. Die Ökologin Michal Gruntman von der Uni Tübingen zeigte am Beispiel des kriechenden Fingerkrauts, dass Pflanzen sich dabei perfekt auf ihre Mitwuchernden einstellen: Abhängig von der Umgebung wächst das Fingerkaut stets so, dass es den für sich größten Vorteil rausschlägt.
Neben kurzen, dicht wachsenden Pflanzen schießt es in die Höhe. Neben hohen, weniger dichten Nachbarn geht das Kraut in die Breite. Laut Pflanzen-Neurologe Mancuso teilen zudem verwandte Pflanzen das Erdreich brüderlich auf, während nicht-verwandte Pflanzen möglichst viele, kräftige Wurzeln schlagen, um so viele Nährstoffe wie möglich für sich selbst zu sichern.
Zudem kommunizierten Pflanzen unterirdisch: In einem Beet versorgte Mancuso eine Pflanze stets schlechter als die übrigen. Obwohl die anderen Pflanzen im Überfluss lebten, legten sie Vorräte an. Wohl, weil die stiefmütterlich behandelte Kollegin ihnen drohenden Mangel meldete.
Spielende Sonnenblumen
Intelligenz kostet Kraft. Da braucht es Abwechslung. Der Mensch treibt dazu Sport, frönt dem Vereinsleben oder zockt an der Konsole. Offenbar suchen sich auch wilde Sonnenblumen einen Ausgleich: Aufnahmen von Jungpflanzen zeigen, wie diese sich unregelmäßig im Kreis drehen – unabhängig von Sonne und Nährstoffen. Forscher haben bisher keine bessere Erklärung für dieses Phänomen als diese: Die Pflanzen spielen.
Von Julius Heinrichs