Typisch Ossi, typisch Wessi? Wie viel Einfluss die eigene Kindheit und Prägung auf das Elternsein heute hat
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Andere Kulturen, andere Erziehungsmethoden? Viele Eltern von heute sind noch im klassischen Ost-West-Setting aufgewachsen. Das hat mitunter auch Einfluss auf die Erziehung der eigenen Kinder.
© Quelle: John-Mark Smith/Unsplash
“Mein Vater war immer präsent, das möchte ich auch für meine Kinder sein.”
Falk (41) ist in einer Kleinstadt in der sächsischen Schweiz aufgewachsen. Seine Frau Constanze (37) kommt aus dem Ruhrgebiet. Heute leben die beiden in Berlin und sind Eltern zweier Kinder (4,5 Jahre alt und 10 Monate alt).
“Im Osten groß geworden zu sein, hat mich vor allem in meiner Rolle als Vater geprägt. Für mich war es als Kind das Normalste der Welt, dass beide Elternteile arbeiten und beide für uns Kinder da sind. Nach der Wende hat meine Mutter sogar noch einen weiteren Abschluss gemacht und mein Vater war es dann, der sich vorrangig um uns Kinder gekümmert hat. Mein Vater war also immer sehr präsent und das möchte ich auch für meine Kinder sein. Vielleicht habe ich auch deshalb keine Probleme damit, beruflich etwas zurückzustecken. Ich habe meine Arbeitszeit reduziert, um Zeit für meine Kinder und andere Interessen zu haben, und meine Frau arbeitet Vollzeit. Obwohl sie im Westen mit einem anderen Mutterideal aufgewachsen ist, findet sie unsere Rollenaufteilung total okay. Für uns sind diese unterschiedlichen Prägungen aus Ost und West nicht wirklich konfliktbehaftet. Aber wir nehmen sie durchaus wahr. Das fängt bei Kleinigkeiten an, die mir auch jetzt als Vater erst auffallen. Kinderserien, zum Beispiel. Wenn sie mit unserem Sohn etwas von früher gucken will, sage ich ständig: Kenn ich nicht! Neulich hab ich zum ersten Mal in meinem Leben das Dschungelbuch geguckt.
In der DDR ging es um die Gemeinschaft, was ja gut ist. Aber das Individuum zählte eben nicht so sehr.
Dann das Thema Religion: Meine Frau ist katholisch, ich bin, wie die meisten aus dem Osten, nicht religiös erzogen worden. Bei unseren Kindern haben wir uns dazu entschieden, sie katholisch taufen zu lassen – einfach, damit sie mit dem Glauben in Berührung kommen. Das ist für mich okay, denn sie werden später noch genug Zeit haben darüber nachzudenken, was ihr Weg sein wird. Worüber ich froh bin ist, dass meine Frau unseren großen Sohn sehr darin bestärkt, selbstbewusst zu sein, für sich und seine Bedürfnisse einzustehen. Denn das ist etwas, was ich erst spät gelernt habe. In der DDR ging es um die Gemeinschaft, was ja gut ist. Aber das Individuum zählte eben nicht so sehr. Dabei finde ich es wichtig, selbstbewusst zu sein – mit einer gewissen Bodenhaftung natürlich. Auch heute kann ich immer noch nicht hochstapeln. Aber immerhin kann ich mittlerweile sagen, was ich gut kann. Das wünsche ich mir auch für meine Kinder.”
Zwischen Sparsamkeit und vielen kleinen Freiheiten
“Beim Thema Geld reiben wir uns oft”
Susann (40) kommt aus einer Kleinstadt in der Nähe von Zwickau. Mit ihren Eltern ist sie aus der DDR 1983 geflohen und nach dem Fall der Mauer 1992 wieder zurück in den Osten gezogen. Heute lebt sie gemeinsam mit ihren Kindern (14, 12, 6) in der Heimatstadt ihres Mannes André (43) im Ruhrgebiet.
“Dass es Unterschiede zwischen uns gibt, merken wir schon. Manchmal sagt Andre auch: ‘Das ist typisch Ossi!’ Mir ist es zum Beispiel wichtig, dass wir bestimmte Strukturen, bestimmte Rituale haben. Ich wollte deswegen auch, dass unsere Kinder in den Waldorfkindergarten gehen, weil auch die Kinder in altersentsprechenden Gruppen sind, der Tagesablauf sehr ritualisiert ist – ähnlich wie bei uns im Osten in den Krippen. Mir sind auch solche Werte wie Fleiß und Ordnung wichtig und eben klare Abläufe. So wurden wir getrimmt, und das kann ich nicht einfach ablegen. Das ist auch so ein Punkt, an dem wir zu Hause diskutieren, weil mir das wichtiger ist als André. Beim Thema Geld reiben wir uns oft. Ich kann heute noch schlecht Kredite etwa fürs Haus beantragen, ich wurde eben sehr sparsam erzogen.
Wir werden zwar nicht umziehen, aber ein bisschen Ostalgie gibt es dann doch bei uns: Demnächst feiern die beiden Großen ihre Jugendweihe – mitten im Ruhrgebiet.
Andererseits habe ich das Gefühl, dass wir im Osten als Kinder in gewisser Weise sogar freier waren. Gerade in der Freizeit wurde vieles locker gesehen, da haben wir uns aus Brettern irgendwelche Hütten gezimmert, sind schon als Kinder Motorcross gefahren. Das würde ich heute am liebsten auch mit meinen Kindern machen, aber da ist es André, der bremst und sagt: Nein, das geht nicht, das ist doch nicht erlaubt! Ob das typisch Osten ist? Keine Ahnung! Vielleicht auch eine Dorfgeschichte. Unsere Kinder finden es in Sachsen übrigens so schön, dass sie am liebsten dort wohnen würden. Gerade diese Offenheit und Herzlichkeit der Leute dort finden sie toll. Wir werden zwar nicht umziehen, aber ein bisschen Ostalgie gibt es dann doch bei uns: Demnächst feiern die beiden Großen ihre Jugendweihe – mitten im Ruhrgebiet.”
Bei jeder Überquerung: Erinnerungen an die Grenze
“Wir sagen unseren Töchtern: Ohne Wiedervereinigung würde es euch nicht geben!”
Matthias (52) hat seine Kindheit in einer hessischen Kleinstadt verbracht. Als die Mauer fiel, war er 21 Jahre alt. Seine Frau Anja (49) ist in einem Vorort von Dessau groß geworden und 1996 ins Rheinland gezogen. Dort leben sie heute gemeinsam mit ihren beiden Töchtern (14, 11).
“Zwar feiern wir den Tag der deutschen Einheit nicht groß, aber wir nutzen ihn schon als Art Gedenktag, an dem wir uns diese besondere deutsche Geschichte in unserer Familie noch einmal bewusst machen. Dann sagen wir auch zu unseren Töchtern: ‘Ohne die Wiedervereinigung würde es euch nicht geben!’ Sie kennen also unsere Geschichte, wissen, dass ihre Eltern im Grunde in unterschiedlichen Staaten großgeworden sind – aber wirklich begreifen können sie es nicht.
In unserem Alltag bekommen sie davon auch nicht viel mit. Nur wenn wir uns mal wieder über die Ost- und Westteller amüsieren. Bei Anja wird immer alles aufgegessen – der Ostteller halt.”
Natürlich fahren wir hin und wieder zu Anjas Familie nach Dessau, und jedes Mal wenn wir an der Raststätte Harleshausen vorbeifahren, sagen wir den Kindern: ‘Hier war die Grenze!’ Aber mehr als ein ‘Aha’ kommt dann nicht. Ich denke, es ist für sie wirklich kaum vorstellbar, was ‘drüben’ damals wirklich für einen Unterschied bedeutet hat. In unserem Alltag bekommen sie davon auch nicht viel mit. Nur wenn wir uns mal wieder über die Ost- und Westteller amüsieren. Bei Anja wird immer alles aufgegessen – der Ostteller halt.”