Wandern, um zu überleben? Wie der Klimawandel Vögel, Fische und Wale durcheinanderbringt
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Kraniche auf Vogelzug. Der Trend zeigt eindeutig: Es wird mit dem Klimawandel weniger Zugvögel geben, berichtet der Ornithologe Wolfgang Fiedler.
© Quelle: imago images/Pacific Press Agency
Die Nachtigall ist bekannt für ihren wohlklingenden Gesang. Ihre abenteuerliche Pendelei ist aber mindestens genauso beeindruckend. Jede Saison überwintert der kleine Zugvogel im tropischen Zentralafrika, zwischen Senegal, Äthiopien und Kenia, und fliegt dann Tausende Kilometer in den deutschen Sommer. Rastplätze und Futterquellen sind auf der großen Weltreise zeitlich exakt aufeinander abgestimmt. Nur so schafft es die Nachtigall, immer wieder aufs Neue zurückzukehren. Bislang zumindest. Ihr über Jahrtausende gewachsenes System ist nämlich gerade dabei, zu zerbrechen. Der Klimawandel bringt alles durcheinander.
Auch andere Zugvögel, die jedes Jahr große Strecken zurücklegen, sind davon betroffen – etwa der Mauersegler und die Gartengrasmücke, berichtet Wolfgang Fiedler, der am Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie zu Wanderbewegungen von Tieren forscht. „Insektenfresser, die von der südlichen Sahara aus aufbrechen, kommen bei uns häufig zu spät an, weil unser Frühling immer früher einzieht.“ Insekten und Schmetterlinge beginnen in Deutschland schon um bis zu einen Monat früher als sonst zu wachsen. „Da geht es teilweise um kleine Zeitfenster von zwei bis drei Wochen, wo die Raupen der ersten Generation als Futter dienen können“, erklärt der Präsident der Deutschen Ornithologen-Gesellschaft. „Später sind sie alle schon verpuppt.“
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Die Nachtigall ist eine Langstreckenzieherin. Sie verbringt den Winter im tropischen Afrika. Aber der Klimwandel erschwert ihr das Reisen.
© Quelle: Pixabay
Damit fehlt den Zugvögeln die Nahrungsgrundlage. In den hierzulande stark vertretenen Monokulturen fällt es vielen Tieren zudem schwer, auf andere Futterquellen auszuweichen. Einfach früher aufbrechen? Sei ebenfalls schwierig, gibt Ornithologe Fiedler zu bedenken. Die Vogelarten, die von sehr weit herkommen, schafften es aus einem noch unbekannten Grund nicht, sich zeitlich anzupassen. Erschwerend komme noch hinzu, dass plötzlich Parasiten aktiv sind, die früher im Winter inaktiv waren. „Viele Vögel kommen deshalb mit neuen Krankheiten in Kontakt.“
Wärmere Meere bringen Fische zum Wandern
Wir sehen, dass sich ganze Fischbestände mit dem Klimawandel immer mehr Richtung Norden bewegen.
Felix Mark
Meeresforscher
Es sind nicht nur die Zugvögel, die der Klimawandel aus dem Takt bringt. In den Ozeanen wandern plötzlich viele Lebewesen dorthin, wo es weniger warm ist. Organismen, die am Boden festgewachsen sind – etwa Korallenriffe – haben bei steigenden Wassertemperaturen Pech und sterben ab. Forschende gehen davon aus, dass ein Großteil in zehn bis zwanzig Jahren nicht mehr existieren wird. Aber wer schwimmen kann, ist klar im Vorteil. „Wir sehen, dass sich ganze Fischbestände mit dem Klimawandel immer mehr Richtung Norden bewegen“, berichtet Felix Mark, der als Meeresökophysiologe am Bremerhavener Alfred-Wegener-Institut zum Thema forscht. Der Kabeljau habe inzwischen beispielsweise große Bestände nördlich von Spitzbergen. „So etwas gab es früher nicht in diesem Maße.“
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Felix Mark ist Meeresökophysiologe am Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI). Er untersucht die Auswirkungen des Klimawandels auf zwei eng verwandte Fischarten in der Arktis. Mit steigenden Wassertemperaturen wandert der Atlantische Kabeljau nordwärts und könnte den Lebensraum des Polardorsches übernehmen.
© Quelle: Esther Horvath
Eigentlich übernehmen die Ozeane für uns Menschen einen hilfreichen Dienst. Wenn sich die Atmosphäre erwärmt und der CO₂-Eintrag in der Luft steigt, werden Wärme und rund 30 bis 50 Prozent des atmosphärischen CO₂s auch in die oberen Wasserschichten der Meere eingetragen. „Die Ozeane können auf diese Weise den Klimawandel ganz erheblich abpuffern“, erklärt Mark. „Würden die Meere die Wärme nicht aufnehmen, herrschten in tropischen Regionen teils schon Temperaturen, bei denen wir Menschen gar nicht mehr existieren könnten.“
Mit der zunehmenden Erderwärmung in Nordsee und Arktis gibt es dem Ökophysiologen zufolge aber ein Problem: Die Ozeane werden bereits so warm, dass sich irgendwann auch die tieferen Schichten verändern. Die gestiegene Wassertemperatur diktiert auch die Körpertemperatur von wechselwarmen Organismen, die eigentlich anderes gewohnt sind. Ihr Stoffwechsel gerät aus seiner evolutionär bedingten Komfortzone. Die Folge: Fische müssen mehr fressen, jagen, sich bewegen. Sonst fehlt ihnen die Energie, um sich fortzupflanzen.
Wanderung in den Norden löst nicht alle Probleme
Die Alternative: Sich auf Reisen begeben und kältere Gegenden finden. Seit rund 20 Jahren sei der Trend bei verschiedenen Fischarten zu beobachten, zwischen zehn und 100 Kilometer bewegten sie sich pro Jahrzehnt weiter vor in kühlere Gewässer, berichtet der Experte für Klimawandelfolgen und Fischbestände. Ein besseres Leben sei aber nicht garantiert. „Nur weil es sich in der Nordsee bis vor Kurzem noch gut leben ließ, heißt das nicht unbedingt, dass man mit gleicher Wassertemperatur vor der norwegischen Küste ebenfalls gut leben kann.“ Wassertiefe, schlammiger oder felsiger Boden, Strömungen, Laichgebiete – all das spielt eine Rolle.
Die Wanderstrategie hat aber auch ihre geographischen Grenzen: In der Arktis etwa, da, wo die Folgen des Klimawandels schon besonders stark zu spüren sind. Die dort seit Langem heimischen Polardorsche müssen sich zum Beispiel vor Ort mit den neuen Konkurrenten messen, die aus dem Süden einwandern. Plötzlich sind Heringe und Lodden auch im hohen Norden unterwegs. Gleichzeitig muss sich der Polardorsch an wärmere Temperaturen anpassen und kommt dabei an seine Grenzen. Er kann noch bis zum arktischen Polarmeer schwimmen. Kühler wird es danach aber nicht mehr.
Wale kommen nicht mehr in die Fjorde von Spitzbergen, weil sie dort nicht mehr genug Polardorsch und Krill zu fressen finden.
Felix Mark
Meeresforscher
Auch sein Nachwuchs ist gefährdet. Ähnlich wie bei den Zugvögeln haben sich auch die Fische über Jahrtausende hinweg zeitlich auf kleine Mikroalgen und Zooplankton als Futterorganismen eingestellt. „Dieser Rhythmus kommt im zeitlichen Ablauf durch die Erwärmung durcheinander“, erklärt Ökophysiologe Mark. Mikroalgen stehen plötzlich zwei bis drei Wochen früher als sonst in der Blüte, was sich auf das Zooplankton auswirkt. Und die Fischlarven schlüpfen zu spät, können sich nicht mehr satt fressen.
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Ein Schwarm Polardorsche im Laborbecken, Tromsø, Norwegen. Sie nehmen eine wichtige Rolle in der Nahrungskette ein. Aber das Meer wird ihnen zu warm.
© Quelle: Flemming Dahlke
Auch auf das Ende der Futterkette wirkt sich der schwindende Polardorschbestand aus. Vom Fisch ernähren sich Robben, Seevögel, Eisbären – und auch Wale. „Wale kommen nicht mehr in die Fjorde von Spitzbergen, weil sie dort nicht mehr genug Polardorsch und Krill zu fressen finden“, erklärt Mark. „Sie ziehen mit den für sie wichtigen Futterorganismen mit und orientieren sich an deren Verbreitung.“ Dabei kämen sie mit den Wassertemperaturen eigentlich noch klar.
Zugvögel verzichten auf Wanderung – weil es immer wärmer wird
Der Trend zeigt eindeutig: Es wird weniger Zugvögel geben.
Wolfgang Fiedler
Ornithologe
Es gibt aber auch Gewinner. Durch die Erderwärmung können viele Vögel inzwischen ganz auf große Wanderungen verzichten. „Der Trend zeigt eindeutig: Es wird weniger Zugvögel geben“, berichtet Vogelkenner Fiedler. Kraniche und Wildgänse überwinterten beispielsweise vermehrt in deutschen Gebieten – weil es inzwischen warm genug bleibt. Manche Vögel ließen sich hierzulande nicht mehr blicken, und bleiben anderswo heimisch. Am Bodensee beispielsweise überwinterten früher mehrere Hunderttausend Reiher- und Tafelenten aus Gebieten in Weißrussland, der Ukraine und Russland. „Heute sind die Zahlen massiv gesunken“, erklärt Fiedler. „Weil es im Nordosten nicht mehr so stark friert, haben es die Vögel gar nicht mehr nötig, zu uns zu fliegen.“
Ökophysiologe Felix Mark ist dennoch besorgt. Wer sich kurzfristig anpassen und wandern könne, komme zwar erstmal durch. Es gebe aber viele Organismen, die in ihrer evolutionären Anpassung hinter den beschleunigten Prozessen der Erderwärmung hinterherhinken – und es nicht schaffen. Dabei habe eigentlich jede Art eine eigene Rolle und Aufgabe im Nahrungsnetz und Ökosystem. „Der Klimawandel wirkt sich auf die komplette Biodiversität aus“, betont der Wissenschaftler. „Die Systeme werden dadurch so durcheinandergebracht, dass ein beschleunigtes Artensterben entsteht.“
Beim Reduzieren von CO₂ komme die Menschheit momentan nicht so schnell hinterher, wie sie es eigentlich müsste, befürchtet auch Fiedler. „Es wird deshalb große geographische Verschiebungen unter den Arten geben.“ Um das etwas abzupuffern, müsse man mehr Dynamik zulassen. „Es braucht auf jeden Fall größere Schutzgebiete, in denen sich die Natur frei entwickeln kann“, fordert der Wissenschaftler.