Gemeinsames Musizieren

Warum Hausmusik nicht altbacken ist

Hausmusik an Weihnachten: Wer nur selten zusammen musiziert, sollte niedrigschwellig beginnen.

Hausmusik an Weihnachten: Wer nur selten zusammen musiziert, sollte niedrigschwellig beginnen.

Kartoffelsalat und Würstchen liegen noch etwas schwer im Magen. Der Tannenbaum hat Schräglage, ebenso wie Omas Singstimme. Opa brummt eher die Melodie von „Alle Jahre wieder“. Papa spielt Klavier, Mama pustet in die Querflöte, und ihr Sohn kratzt quietschend mit dem Bogen über die Saiten seiner Geige, während die dreijährige Tochter mehr oder minder rhythmisch mit einem Holzlöffel auf einen Topf schlägt. Aber nach und nach grooven sich alle ein – und eine ganz eigene Version des Weihnachtsliedes erklingt.

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So oder so ähnlich geht es wohl in vielen deutschen Wohnzimmern zu, wenn Heiligabend auf einmal eine Gruppe Menschen zusammen musiziert, die das sonst nie gemeinsam tut.

Doch dass die Familie sofort konzertreif Musik macht, ist auch gar nicht das Ziel. „Bei der Hausmusik ist alles erlaubt. Falsche Töne spielen keine Rolle“, sagt Musikpädagoge Markus Lüdke, Leiter der Landesmusikakademie Niedersachsen. Der Fokus solle auf dem gemeinsamen Erlebnis, dem geselligen Musizieren, liegen. Denn genau das sei das Wesentliche bei der Hausmusik.

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Hausmusik: eine lange Tradition

Zusammen in den eigenen vier Wänden zu musizieren hat eine lange Tradition. Schon vor Jahrhunderten diente gemeinsames Musizieren und Singen in häuslicher Gemeinschaft als Zeitvertreib. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts legten neben dem Adel auch Familien des Bildungsbürgertums Wert auf musikalische Erziehung.

Wie in der Netflix-Serie „Bridgerton“ zu sehen oder im Roman-Klassiker „Stolz und Vorurteil“ von Jane Austen zu lesen ist: Besonders junge Frauen punkteten damit, wenn sie ein Instrument beherrschten oder schön singen konnten. Das ließ sie nämlich in den Augen potenzieller Ehemänner attraktiver erscheinen.

„Falsche Töne spielen bei der Hausmusik keine Rolle“: Markus Lüdke ist Musikpädagoge und Leiter der Landesmusikakademie Niedersachsen.

„Falsche Töne spielen bei der Hausmusik keine Rolle“: Markus Lüdke ist Musikpädagoge und Leiter der Landesmusikakademie Niedersachsen.

„Natürlich hat der Begriff ‚Hausmusik‘ seine Geschichte. Er ist mit der Institution der Familie verknüpft“, sagt Lüdke, „doch für mich ist das heute ein ganz offener Begriff.“ Um Hausmusik handele es sich, sobald Menschen im privaten Umfeld ungezwungen zusammen musizierten. Dabei sei es egal, ob eine Familie im Wohnzimmer oder Studierende in der WG-Küche zusammensitzen. Bei der Hausmusik verschwimme die Grenze zwischen Zuhören und Musikmachen.

Welche Lieder gemeinsam spielen?

Wer auf Youtube das Stichwort „Hausmusik“ eingibt, sieht viele Videos von Menschen in Trachten, die gemeinsam volkstümliche Lieder spielen. Doch es müssen nicht zwingend traditionelle Stücke erklingen, damit ein Sofakonzert im eigenen Wohnzimmer als Hausmusik gilt. „Am besten funktioniert es, Lieder zu spielen, die man gern mag. Da ist die Motivation höher, sie zu lernen und zu üben“, rät Musikpädagoge Lüdke.

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An den Weihnachtsfeiertagen könne man es mit dem Singen und Spielen eingängiger und sehr bekannter Klassiker wie „Morgen kommt der Weihnachtsmann“ oder „Leise rieselt der Schnee“ versuchen. Und wenn es lieber Popmusik sein soll? „Der größte gemeinsame Nenner zwischen den Generationen sind wahrscheinlich Abba und die Beatles“, meint der Experte. Kinder seien Musik gegenüber relativ offen. „Sie lassen sich leicht auf alles Mögliche ein, wenn es ihnen nur angeboten wird.“

Nur jeder und jede Fünfte spielt ein Instrument

Doch sich auf einen Song zu einigen, ist gar nicht das größte Problem beim häuslichen Musizieren – sondern, dass das Beherrschen eines Instruments nicht mehr so einen hohen Stellenwert hat. Knapp jede und jeder fünfte Deutsche ab einem Alter von sechs Jahren macht in seiner Freizeit Musik, lautet ein Ergebnis einer aktuellen Studie des Deutschen Musikinformationszentrums (miz). Etwas weniger als die Hälfte der Kinder und Jugendlichen zwischen sechs und 15 Jahren spielt ein Instrument oder singt zusammen mit anderen – bei den über 30-Jährigen trifft das nur noch auf rund 13 Prozent zu.

Die Zahlen bestätigen den Eindruck von Lüdke: „Ein Bild von Hausmusik an Weihnachten, wo alle zusammensitzen und jeder ein Instrument spielen kann, ist heute unrealistisch.“ Das gebe es nur noch in wenigen Familien. Nicht zuletzt durch Streaming habe sich die Wertschätzung für Musik verändert. Jeder könne Musik zu jeder Zeit hochprofessionell produziert anhören, sagt der Musikpädagoge. Wer dann zum ersten Mal selbst zaghaft die Tasten eines Klaviers drückt oder die Saiten einer Gitarre anschlägt, habe sofort den Vergleich zu Songs aus dem Lautsprecher im Ohr.

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Kleine Schritte und Grenzen achten

Dennoch, es lohnt sich, ein Instrument oder singen zu lernen, sagt Lüdke: „Es ist erfüllend, mit anderen zusammenzuspielen.“ Wenn die Familie allerdings nur einmal im Jahr an den Feiertagen gemeinsam Musik macht, sollte dies so niedrigschwellig wie möglich vonstattengehen. „Man muss Hemmschwellen abbauen. Das erfordert Mut“, erklärt der Musikpädagoge. Wer etwa lange nicht gesungen hat, dem falle das erst einmal schwer.

Lüdke rät zu kleinen Schritten: „Vielleicht summt man erst einmal zusammen die Melodie.“ Ein paar Einsteigerinstrumente wie Klangstäbe können verteilt werden. Wer ein Instrument beherrscht, begleitet die anderen. „Jeder darf kreativ sein, sich ausprobieren und so viel einbringen, wie er möchte.“

Und: Wenn jemand partout nicht mitmachen möchte, sollte man ihn oder sie in Ruhe lassen. Wer weiß, vielleicht nimmt der erst grimmige Onkel nach einiger Zeit doch noch ein Schüttelei in die Hand.

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