Training muss zu eigenen Bedürfnissen passen

Selbstverteidigung lernen: Wie man den richtigen Kurs für sich findet

Kurse zum Thema Selbstverteidigung gibt es viele (Symbolbild).

Kurse zum Thema Selbstverteidigung gibt es viele (Symbolbild).

Ein Kniestoß trifft den Unterleib der Trainingspuppe. Ein fester Schlag knallt gegen die Boxpratze, der Ellbogen zielt auf das Gesicht des Angreifers. In Selbstverteidigungskursen lernen Menschen, wie sie sich im Ernstfall vor körperlichen Angriffen schützen. Sie wollen sich dadurch in der Öffentlichkeit sicherer und selbstbewusster fühlen, Gewalttätern und Gewalttäterinnen nicht schutzlos ausgeliefert sein. „Menschen entscheiden sich aus ganz unterschiedlichen Gründen für ein Selbstverteidigungstraining. Einige sind schon selbst Opfer von Gewalt geworden, andere wollen proaktiv handeln“, sagt Trainingspädagoge Swen Körner von der Deutschen Sporthochschule in Köln.

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Körner forscht zu Konfliktdynamiken und unterrichtet selbst diverse Selbstverteidigungsstile. Er betont: Selbstverteidigung ist in Deutschland stark nachgefragt. Doch warum eigentlich? Obwohl Deutschland ein sehr sicheres Land ist, haben viele Menschen Angst davor, Opfer von Überfällen zu werden. „Gerade wenn besonders erschreckende Taten in den Medien thematisiert werden, gewinnen viele Menschen den Eindruck, dass die Gewalt immer brutaler und schlimmer wird“, betont der Konfliktforscher.

Wann die Nachfrage nach Selbstschutz steigt

Die Vergangenheit hat gezeigt, dass Menschen nach dramatischen Ereignissen auch verstärkt nach Mitteln zur Selbstverteidigung greifen. In den USA boomte etwa der Markt mit Schusswaffen zur Selbstverteidigung nach den Terroranschlägen am 11. September 2001. In Deutschland hatte die Kölner Silvesternacht vor mehr als sieben Jahren zu einer deutlich höheren Nachfrage nach Selbstverteidigungskursen geführt. Damals wurden Hunderte Frauen sexuell bedrängt und angegriffen.

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Und auch jüngere Kriminalfälle tragen zu Angst und Unsicherheit bei. So etwa die Messerattacke in einem Regionalzug zwischen Hamburg und Kiel, bei der ein Mann im Januar zwei Menschen tötete. „Als Trainer habe ich es immer wieder mit Menschen zu tun, die sich nach Berichten über Gewalttaten Sorgen machen und deshalb zum Training kommen“, sagt Körner.

Jung, weiblich, handgreiflich: Warum und wie Mädchen Gewalt ausüben

Wenn Mädchen gewalttätig werden, entspricht das nicht dem typischen Rollenbild. Doch längst ist klar: Auch Mädchen können aggressiv sein, zuschlagen, sich prügeln, sogar töten. Das zeigt etwa der Fall Luise. Zwei Psychologinnen erklären, wie es zur Mädchengewalt kommt und warum sie anders ist als Gewalt unter Jungen.

Techniken zur Selbstverteidigung

An Angeboten mangelt es nicht: Unter anderem Vereine, Kampfsportschulen und gemeinnützige Organisationen bieten in ganz Deutschland Kurse und Training für ganz unterschiedliche Methoden an. Beliebt ist etwa Krav Maga: Das aus Israel stammende Selbstverteidigungssystem dient zur Abwehr bei Bedrohungen und Übergriffen. Die Techniken und Griffe sind leicht zu erlernen und damit auch bei hohem Stress in Gefahrensituationen schnell anwendbar. Zu den reinen Selbstverteidigungsarten zählt auch Wing Chun: Laut Legende hat eine Frau die chinesische Kampfkunst speziell für die Selbstverteidigung gegen körperlich überlegene Gegner entwickelt.

In den Kursen bekommen die Teilnehmenden vor allem eine Strategie vermittelt: Was kann ich tun, um mich selbst zu schützen? Dabei gilt: Jede Situation verlangt eine andere Art der Gegenwehr. Deswegen sollten möglichst viele und realistische Situationen im Training geübt werden. Und zwar nicht nur kaltblütige Angriffe eines Gewalttäters, die laut Körner statistisch gesehen selten sind. Das Training bereite Teilnehmende vor allem auf Situationen vor, in denen es zu „heißer Aggression“ kommt, wenn also jemand aus Wut beginnt, körperlich zu werden – zum Beispiel beim Streit um den Parkplatz oder bei einer hitzigen Diskussion in der Kneipe.

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Andere Lösungen als physische Gegenwehr

„Wichtig ist, dass Menschen nach dem Training mit einer erhöhten Selbstwirksamkeit herausgehen – also spüren, dass sie auf die in den Übungen behandelten Situationen besser vorbereitet sind“, sagt Körner. Im Training lernen Teilnehmende die jeweils effektivsten Techniken, um Angreifende zu stoppen. Bei körperlichen Angriffen sei es etwa Ziel, einen sehr deutlichen Schmerzreiz beim Angreifenden auszulösen. Je nach Situation kann das etwa ein Tritt gegen den Unterleib sein.

Ein gutes Selbstverteidigungstraining zeigt aber auch andere Lösungswege als physische Gegenwehr auf. „Selbstverteidigung ist nur der letzte Ausweg. Beim Training ist es auch wichtig, Mittel der Deeskalation zu erlernen – denn oft kann man in heißen Konfliktsituationen auch verbal viel Einfluss nehmen. Viele Menschen sind im Training verblüfft von der schlagenden Wirkung, die eine Entschuldigung auf ihr Gegenüber haben kann“, sagt der Trainingspädagoge.

Lügen, Psychoterror, körperliche Gewalt: Frauen leiden teilweise Jahre unter einem toxischen Partner.

„Toxische Partner zeigen oft narzisstische Züge – und dann folgt die erste Beleidigung“

Frauen sind in Beziehungen deutlich häufiger von häuslicher und psychischer Gewalt betroffen als Männer. Auch Rechtsanwältin Sandra Günther und Familienberaterin Ruth Marquardt gerieten an einen toxischen Partner – und wollen nun Betroffenen helfen. Auf welche Warnsignale Frauen achten sollten.

Kurs muss zu eigenen Bedürfnissen passen

Auch Kampfsportarten wie Judo, Karate und Taekwondo vermitteln Selbstverteidigungs­techniken. Jedoch sind sie technisch und koordinativ sehr anspruchsvoll, benötigen somit viel Geduld und sind eher auf eine langfristige Teilnahme ausgelegt. Hierbei gilt es laut Körner zudem zu überprüfen, ob die dabei vermittelten Strategien auch wirklich realitätsnah sind. „Bei Kampfsportarten wie Boxen oder Kickboxen lernen Sie zwar gute körperliche Lösungen für körperliche Konfliktsituationen“, sagt er, „aber auf die Konfliktsituationen des Alltags, die den Großteil aller Gewalttaten ausmachen, bereiten sie in der Regel nicht wirklich gut vor.“

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Bei der Suche nach einem geeigneten Selbstverteidigungstraining sollten Menschen laut Körner darauf achten, dass das Angebot auf ihre persönlichen Bedürfnisse eingeht. Viele Frauen wollen beispielsweise lernen, wie sie sich nachts auf der Straße vor Angriffen schützen können. Sicherheitskräfte in Diskotheken wollen sich dagegen eher auf Konflikte mit betrunkenen Menschen vorbereiten. Gerade in Großstädten gibt es jede Menge Kurse, die an bestimmte Personen- und Berufsgruppen gerichtet sind. Vor allem Angebote für Frauen sind gefragt – denn Gewalt gegen Frauen ist auch in Deutschland ein Problem: Jede dritte Frau wird laut Bundesfamilien­ministerium hierzulande mindestens einmal in ihrem Leben Opfer von physischer und/oder sexualisierter Gewalt.

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Training für queere Personen

In Berlin beispielsweise werden auch Kurse angeboten, die an queere Personen gerichtet sind – also unter anderem Homosexuelle und trans Menschen, die sich vor Gewalttaten schützen wollen, sich aber in klassisch gemischten Kursen möglicherweise unwohl fühlen. Allein in der Hauptstadt gibt es seit Jahren immer mehr homosexuellen- oder transfeindliche Straftaten. 2021 registrierte die Senatsverwaltung für Justiz 456 Fälle, im Jahr davor 377.

Körner empfiehlt Menschen, in jedem Fall zunächst ein Probetraining zu absolvieren, wenn sie ein vielversprechendes Angebot gefunden haben. Dabei erfahren sie, ob ihre Bedürfnisse wirklich angemessen berücksichtigt und realistische Situationen behandelt werden. Menschen, die Opfer von Gewalt wurden, sollten zudem vorher ein persönliches Gespräch mit der Trainerin oder dem Trainer führen. „Wenn im Selbstverteidigungs­training realistische Szenarien geübt werden, können Menschen erneut traumatisiert werden. Anbieter sollten auf solche Fälle vorbereitet sein“, sagt Körner.

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