Werden mehr Menschen von Giftschlangen gebissen?
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Giftige Klapperschlangen sind auch bei deutschen Halterinnen und Haltern beliebt.
© Quelle: kd cu/Symbol
Birmingham/Berlin. In den vergangenen Wochen haben in Deutschland Bissunfälle mit exotischen Giftschlangen Aufmerksamkeit erregt – im Kreis Lippe, in Hagen und in Sehlde bei Wolfenbüttel. Eine aktuelle Studie deutet darauf hin, dass derartige Vorfälle in manchen Ländern wie Großbritannien und den USA zunehmen – offenbar weil die Haltung solcher Tiere beliebter geworden ist. Einen solchen Anstieg sehen Expertinnen und Experten hierzulande nicht. Allerdings gibt es weder bundesweite Zahlen zur Haltung von Schlangen noch zur Zahl der Bissunfälle.
Mehr als 600 der weltweit rund 3000 Schlangenarten sind giftig. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) betrachte Schlangenbisse als eines der wichtigsten vernachlässigten Gesundheitsthemen, schreiben britische Forschende um Pardeep Jagpal vom Nationalen Giftinformationsdienst in Birmingham im Fachblatt „Clinical Toxicology“. Schätzungen zufolge sterben jährlich weltweit zwischen rund 80.000 und 140.000 Menschen an solchen Bissen, bis zu 400.000 weitere erleiden bleibende Schäden wie Sehverlust oder Amputationen von Gliedmaßen. Betroffen sind fast ausschließlich Menschen, die in Herkunftsregionen gefährlicher Giftschlangen leben, etwa in Indien.
Mehr Bisse als noch vor einigen Jahren
„Die meisten medizinisch relevanten Schlangen sind in Asien, Afrika, Lateinamerika und Ozeanien beheimatet, aber die Möglichkeit, auf diese Arten zu treffen, wird nicht mehr durch die Geografie beschränkt“, schreibt das Team um Jagpal. Gerade in Großbritannien und den USA würden Schlangen als Haustiere immer beliebter; sie seien in beiden Ländern etwa in jedem 125. Haushalt anzutreffen.
In den USA wurden demnach zwischen 1977 und 1995 – also binnen 19 Jahren – 50 Bisse durch exotische Schlangenarten registriert, zwischen 2005 und 2011 – binnen sieben Jahren – waren es 258. In Großbritannien wurden von 2004 bis 2010 pro Jahr im Mittel 19 Bisse exotischer Arten bekannt – verglichen mit jährlich durchschnittlich 26 im Untersuchungszeitraum von 2009 bis 2020.
Pythons, Giftnattern oder Kobras
Für diese 12 Jahre analysierte die Gruppe um Jagpal nun Informationen – soweit vorhanden – zu den 312 registrierten Schlangenbissen in Großbritannien. Bisse von Kreuzottern, der einzigen heimischen Giftschlangenart, wurden nicht berücksichtigt. Die Unfälle gingen auf insgesamt 68 Arten zurück. Rund 57 Prozent (184 Bisse) entfielen auf die meist ungiftigen Nattern (Colubridae), etwa 29 Prozent auf Pythons (Pythonidae; 57 Bisse) und Boas (Boinae, 34 Bisse) – beides ungiftige Riesenschlangen. Schwere Folgen hatte, soweit bekannt, keiner dieser Vorfälle.
Folgenreicher waren Attacken durch die beiden großen Gruppen der Giftschlangen: 9,3 Prozent (30 Bisse) entfielen auf Vipern (Viperidae), 4,4 Prozent (14 Bisse) auf Giftnattern (Elapidae). Die meisten schweren Vorfälle gingen demnach auf das Konto zweier Arten: der Westlichen Diamantklapperschlange (Crotalus atrox) und der – auch Brillenschlange genannten – Südasiatischen Kobra (Naja naja). Auch in Deutschland seien Klapperschlangen und Kobras bei Halterinnen und Haltern beliebt, sagt Markus Monzel von Serum-Depot Berlin.
„Individuen, die ein besonderes Interesse an der Haltung von Giftschlangen haben, müssen das Risiko akzeptieren, gebissen zu werden, möglicherweise öfter als einmal.“
Das Forscherteam um Pardeep Jagpal vom Nationalen Giftinformationsdienst in Birmingham
Meist Haltende selbst gebissen
Während Menschen in den Herkunftsländern der Schlangen meist an den unteren Extremitäten, also an Beinen und Füßen, gebissen werden, waren der Studie zufolge in Großbritannien zu zwei Dritteln die oberen Extremitäten betroffen, von den Fingern bis zu den Schultern. Zwei Drittel der gebissenen Menschen waren männlich, 81 Prozent private Halterinnen und Halter, und 12 Prozent hatten beruflich mit den Tieren zu tun – etwa in Tierhandlungen oder Zoos.
Der überwiegende Teil der Bisse – knapp 87 Prozent – verursachte keine oder nur kleinere Symptome, bei rund 9 Prozent waren die Symptome mittelschwer. Lediglich bei knapp 5 Prozent (15 Bisse) folgten schwere Probleme, ein Mensch starb. Diese Person, die beruflich mit Schlangen zu tun hatte, war binnen 28 Monaten dreimal gebissen worden: zunächst von einer Gewöhnlichen Mamba (Dendroaspis angusticeps), dann zweimal binnen weniger Wochen von einer Königskobra (Ophiophagus hannah).
„Individuen, die ein besonderes Interesse an der Haltung von Giftschlangen haben, müssen das Risiko akzeptieren, gebissen zu werden, möglicherweise öfter als einmal“, schreibt das Team. Wichtig seien in solch einem Fall eine fachliche Beratung und der rasche Zugang zu Gegengiften.
Experte: Fälle in Deutschland nur statistische Ausreißer
In Deutschland gibt es keine zentrale Erfassung von Giftbissen. Dass solche Fälle vorkommen, zeigt der Fall aus Sehlde. Die 35-jährige Halterin war von einer Klapperschlange in den Finger gebissen worden und überlebte knapp, nachdem sie ein aus München eingeflogenes Gegengift bekommen hatte. Die Frau hatte Medienberichten zufolge 88 Giftschlangen gehalten. Im Frühjahr war im Kreis Lippe ein Mann von einer Gabunviper gebissen worden, im Juni wurde ein Fall aus Hagen bekannt.
Das Göttinger Giftinformationszentrum (GIZ) Nord, das für die Bundesländer Niedersachsen, Bremen, Hamburg und Schleswig-Holstein zuständig ist, registrierte seit 2015 allein für Klapperschlangen 16 Anfragen. Diese erfolgten in der Regel nach Bissen, sagt ein Leiter des Zentrums, Andreas Schaper. Das Zentrum berät medizinisch und weiß vor allem, wo ein passendes Gegengift vorrätig ist. Einen deutlichen Anstieg von Anfragen zu Schlangenbissen verzeichnete der Toxikologe in den vergangenen Jahren jedoch nicht.
Der Experte Monzel hält die schnelle Folge der drei jüngsten Fälle in Deutschland für statistische Ausreißer, es gebe auch Jahre ohne Bissunfall. Eine tödliche Bissattacke einer Schlange auf einen Halter oder eine Halterin gab es nach Angaben von Serum-Depot Berlin seit mindestens 40 Jahren nicht.
Mehr als 3500 Giftschlangen allein in NRW
Wie viele Schlangen in Deutschland gehalten werden, ist unklar. Der Industrieverband Heimtiere rechnet hierzulande mit 1,2 Millionen Terrarien, was 2 Prozent der Haushalte entspreche. Darin werden neben Schlangen jedoch auch Echsen, Spinnen und sonstige Tiere gehalten. Und viele bei Halterinnen und Haltern beliebte Schlangen seien ungiftig, betont Monzel und nennt als Beispiele etwa Königspython (Python regius), Kornnatter (Pantherophis guttatus) und Königsnattern (Lampropeltis).
Konkrete Zahlen liegen aus Nordrhein-Westfalen vor, wo die Haltung von Giftschlangen meldepflichtig ist: Dort wurden Ende 2021 laut Landesregierung 3553 Giftschlangen gehalten.
Experte: Meldepflicht sinnvoll
Derzeit, so Monzel, gebe es keine bundesweit einheitlichen Gesetzesregeln zur Haltung von Schlangen. Mehrere Bundesländer hätten Regelungen für Gefahrentiere wie eine Meldepflicht, andere nicht. Eine solche Meldepflicht sei durchaus sinnvoll. So könne etwa die Feuerwehr, falls sie einmal wegen eines Notfalls anrücke, sich auf einen solchen Tierbestand vorbereiten.
Neben einer Meldepflicht hält Monzel einen Sachkundenachweis, der auf bundesweit erforderlichen Standards beruht, für wünschenswert. Denn problematisch seien Gefahrentiere, so argumentiert der Experte, vor allem in den Händen unerfahrener Halterinnen und Halter.
RND/dpa
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